Toedliche Offenbarung
ihr die ganze Zeit auf der Zunge liegt: »Mit wem?«
Anton grinst. »Das ist typisch. Wenn ich dich nicht so lange kennen würde, könnte ich glauben, du bist eiskalt und abgebrüht.«
Anton Birnbaum und sie sind zusammen zur Grundschule gegangen, haben gemeinsam Frösche im Bach gefangen und das eine oder andere Geheimnis miteinander geteilt. Er fischt mit der Zange ein paar Eiswürfel aus der Kühlbox und schiebt sie Martha im Wasserglas herüber. »Trink das.«
Martha trinkt drei kleine Schlucke, dann packt sie die Ungeduld.
»Schieß los, wer war’s?«, krächzt sie. Nach dem zweiten Wort hat Martha ihre Stimme wieder gefunden.
»Ich muss dich enttäuschen, ich kannte den Mann nicht. Das war so ein Kleiner, Unscheinbarer mit Schnauzbart. Der war noch nie hier.«
»Schade.« Martha seufzt. Wäre ja auch zu einfach gewesen, wenn Anton den Gast, vielleicht sogar den möglichen Täter erkannt hätte.
»Fünf Köpi und ein Weizen.« Der wöchentliche Stammtisch der Bauern aus der Umgebung – unter dem Vorsitz des Ortsbürgermeisters – macht die Bestellung dringend.
Anton schnappt sich das erste Glas und zapft. »Falls du wissen willst, was die geredet haben – keine Ahnung. Da musst du Yvonne fragen, die hat ein paar Worte mit den beiden gewechselt.« Er lächelt, als Martha den Mund öffnet. »Du brauchst gar nicht nachzuhaken, sie hat mir nichts darüber erzählt. Ich war viel zu müde. Gestern war hier die Hölle los. Der Nebenraum war pickepacke voll mit jungen Leuten, die etwas gegen dieses rechte Schulungszentrum machen wollen – und heute Morgen bin ich früh aufgestanden, um mir Hühner vom Burgdorfer Pferdemarkt zu holen.« Er füllt die nächste Biertulpe.
»Es gibt auch Personen, die beschäftigen sich nicht nur mit Morden. Ich zum Beispiel werde jetzt deiner Nachbarin nacheifern und grüne Eierleger züchten. Es geht nichts über eigene Eier.«
52
Die Staatsanwältin kommt Beckmann bereits im Treppenhaus in einem roten Leinenkleid entgegen, das ihre im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckten blonden Haare zum Leuchten bringt. Sie wirkt schlanker als noch im Frühjahr.
»Schön Sie zu sehen, Frau Doktor Mackenrodt.« Beckmann reicht ihr die Hand.
»Ebenfalls. Kommen Sie mit.«
Nach der schwülen Luft auf dem Parkplatz freut sich Beckmann über die kühlen Temperaturen im Flur. Allerdings ist diese Freude nur von kurzer Dauer. Das Zimmer der Staatsanwältin liegt zur Südseite. Dort sind es mindestens 28 °C, und der Ventilator läuft.
Dr. Monika Mackenrodt mustert Beckmann über den Aktenstapel hinweg, der sich auf ihrem Schreibtisch auftürmt. Wochenenddienst ist eine leidige Sache. Noch schlimmer ist es, von Beckmann auf diesen windigen Anwalt angesetzt zu werden. Aber so schnell tritt sie nicht mehr ins Fettnäpfchen. Statt nur den Durchsuchungsbefehl auszufüllen, hat sie lange mit Beckmanns Dienststellenleiter gesprochen.
»Mein lieber Beckmann, das ist ja ein unverhofftes Wiedersehen«, gurrt sie und kann sich ein zynisches Grinsen kaum verkneifen. »Danke, dass Sie den Kollegen in Burgdorf helfen.«
»Aber ich bitte Sie.« Etwas in ihrer Stimme irritiert Beckmann. Ist es ihr Tonfall? Egal, der Hausdurchsuchungsbefehl für das Landschulheim liegt bereits unterschrieben vor der Staatsanwältin. Nur das zählt. Borgfeld wird erleichtert sein, wenn er das hört.
Die Staatsanwältin schiebt das Schriftstück zu ihm rüber.
»Hauptkommissar Beckmann«, sie grinst süffisant, was ihn jetzt ernsthaft beunruhigt. »Ich habe in der Zwischenzeit mit Ihrem Vorgesetzten telefoniert. Wir waren uns schnell einig. Sie übernehmen die Leitung im Mordfall Broderich. Die Mordkommission in Hannover hat genug mit der zerstückelten Leiche unter der Ihmebrücke zu tun. Außerdem hängen die immer noch an dem Fall mit den drei Toten im Steintorviertel von vorletzter Nacht.«
»Aber die Arbeit als cyber …«
Mackenrodt verdreht die Augen.
»Mein Lieber. Diese Observierungsarbeit mag«, sie zieht das Wort bis zum Reißen in die Länge, »ihren Sinn haben. Aber nur, bis man einen konkreten Anhaltspunkt hat.«
Funkensprühende Blicke treffen Beckmann, als sie sich eine Zigarette in den Mund steckt.
»Henry Broderich hat die Internetseite für Wörstein erstellt. Jetzt ist er tot – das ist also eine klare Zuständigkeit für Sie. Zumindest begründen wir Ihren Einsatz so. Die Ermittlungen im Fall des Journalisten sind eine kleine praktische Fingerübung für Sie.« Sie zwinkert ihm zu.
Weitere Kostenlose Bücher