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Toedliche Offenbarung

Titel: Toedliche Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Kuhnert
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der getroffenen Eisenbahnwagen, Maschinen, Holz und Steine flogen ziellos herum. Ihr Aufprall auf dem Schotter machte einen Höllenlärm. Ich verkroch mich in die hinterste Ecke, schloss die Augen, betete und rechnete damit, dass unser Waggon explodierte, zusammen mit Josef und mir. Angst hatte ich nicht mehr, ich wartete nur noch auf den Tod. In mir war eine große Ruhe.
    Überall knallte es und Rauchschwaden standen in der Luft, Schreie kamen aus allen Richtungen. Etwas Undefinierbares klatschte auf mein Gesicht und rutschte auf meinen Schoß. Ich ertastete irgendetwas Schweres, Feuchtes und griff danach. Es fühlte sich seltsam an. Vor lauter Qualm konnte ich nicht sehen, was es war und hob es hoch: ein abgerissener Arm in schwarzem Stoff mit eingenähtem SS-Zeichen. Ich hob das blutige Körperteil hoch und warf es hinaus.
    Dann prasselten Steine und Holzteile von überall her auf mich nieder und ich versuchte, meinen Kopf mit den Händen zu schützen.
    Als die Angriffswelle abebbte, lugte ich vorsichtig über die Kante des Waggons. Alles brannte lichterloh. Immer noch explodierte Munition auf der rechten Seite des Zuges, Uniformierte liefen blutverschmiert mit gezücktem Gewehr entlang der Gleise. Links und rechts flüchteten die ersten Häftlinge aus den Hängern und rannten in alle Himmelsrichtungen. Ich erkannte den Hünen Paul Cerny aus Drütte. Er war gerade drei Meter Richtung Wald gekommen, als er zusammenbrach. Die SS-Leute, die den zweiten Bombenangriff überstanden hatten, schossen auf jeden Flüchtling, der ihnen vor die Flinte kam. Überall sah ich gestreifte Menschen im Zickzack rennen, manche brachen mitten im Lauf plötzlich zusammen, andere schafften es bis zu den rettenden Bäumen.
    Josef stieß mich an. »Los, wenn nicht jetzt, wann dann?«
    Ich zögerte und war gelähmt vor Angst. »Ich kann nicht.«
    »Ohne dich gehe ich nicht.«
    Wir lugten beide vorsichtig über den Rand unseres Metallwaggons – und blickten direkt in das Gesicht des SS-Mannes mit dem Schmiss. Er grinste uns breit an und seine dunklen Augen funkelten selbstherrlich.
    »Wollt ihr nicht loslaufen? Die kleinen Schießübungen sind eine willkommene Abwechslung.«
    Er wartete die Antwort nicht ab, weil er aus dem Augenwinkel etwas gesehen hatte. Eine kurze Drehung nach rechts, Gewehr angelegt und Schuss. Treffer. Schuss. Treffer. Wir konnten nichts sehen, hörten aber, wie Körper nach einem kurzen Aufschrei aufklatschten.
    Er drehte sich zu uns um, auf seinem Gesicht ein zufriedenes Grinsen. Seine schmalen Lippen zogen sich genussvoll in die Breite.
    »Na, wie wär’s, wollt ihr nicht auch?«
    Er hatte das Summen der Bomber überhört und die dritte Angriffswelle traf ihn genauso unvermittelt wie uns. Josef und ich duckten uns und pressten uns an die schützenden Metallwände. Erneut knallte es ohrenbetäubend, wieder folgten Schreie. Einer direkt neben unserem Waggon. Trotz der Gefahr schob ich mich an der Wand empor und warf einen Blick nach draußen. Auf dem Schotter lag der mit dem Schmiss und schrie zum Gott erbarmen. Mitten in seine Brust hatte sich ein Granatsplitter gebohrt.
    In diesem Moment durchzuckte auch mich ein heftiger Schmerz. Erst konnte ich gar nicht denken. Dann sah ich an meinem Bein herunter. Alles voller Blut. In meinem Oberschenkel steckte eine riesige Scherbe. Ich starrte sie an. Zögerte kurz und zog sie mit einem Ruck heraus. Der Schmerz pochte unaufhörlich in meinem Bein und mir wurde schwarz vor Augen.
    Die Bomben fielen ununterbrochen. Nicht so viele wie bei den beiden vorangegangenen Wellen, der Angriff dauerte allerdings länger. Es gab immer wieder Explosionen. Auch weiter entfernt in der Stadt. Die Schreie der Leute kamen aus allen Himmelsrichtungen. Trotz des Krachs habe ich nur die grelle Stimme des SS-Mannes gehört, die langsam leiser wurde.
    Als es endlich vorbei war, schaute Josef nach draußen. Der mit dem Schmiss jammerte nur noch kläglich und hielt mit seinen Händen den Granatsplitter umklammert, bekam ihn aber nicht heraus. Weit und breit war kein anderer von der SS zu sehen.
    Josef zog dem toten Samuel die Jacke aus, riss Stoff in Streifen und legte mir einen Verband an.
     

55
     
    Eine gespenstische Stille liegt über dem Wald bei Ehlershausen. Nichts rührt sich. Borgfeld wartet ungeduldig mit allen zur Verfügung stehenden Beamten der Polizeiinspektion Burgdorf am Wegesrand der Zufahrt zum ehemaligen Landschulheim auf Beckmann mit dem Durchsuchungsbefehl. Er hätte gerne

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