Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
viel gesungen«, erzählte Derrick, »und rumgetanzt. Daddy und sie hatten roten Saft im Glas. Einen so schönen roten Saft, ich wollte auch welchen haben. Da hat Tante Dottie gesagt, ich krieg gleich ’nen Klaps auf ’n Popo, und dann ist sie hinter mir her gerannt, und dann ist sie auf der Treppe hingefallen. Aber sie hat sich nicht wehgetan, Grannie, sie hat gelacht. Sie hat ganz doll gelacht. Und dann ist Daddy gekommen und hat mich ins Bett gebracht.«
»Das war wirklich lustig«, sagte Grannie.
Es war erstaunlich, wie ruhig und natürlich sie blieb, während Marjorie benommen vor Übelkeit dasaß und spürte, wie sie glühend rot anlief und düstere Nebel sich um sie herum in dem sonnendurchfluteten Zimmer auszubreiten schienen. Und durch diese düsteren Nebel hindurch nahm Marjorievor allem den festen unverwandten Blick ihrer Mutter wahr – einen sphinxhaften Blick voller Bedeutung, den sie nicht enträtseln konnte.
»Da ist Anne!«, rief Mrs Clair, als sie durchs Fenster auf die Straße hinaussah; und Annes Eintreffen setzte Derricks Worten ein natürliches Ende. Marjorie schüttelte ihre Ohnmacht ab und begrüßte ihre Tochter. Nun profitierte sie von den sieben Jahren der Selbstkontrolle. Nach Annes Geburt hatte sie beschlossen, ihr Verhalten den Kindern gegenüber niemals von ihrer eigenen jeweiligen Laune abhängig zu machen, niemals, zum Beispiel, mit den Kindern zu schimpfen, nur weil sie aufgrund irgendeines äußeren Einflusses verärgert war. Inzwischen war ihr das so sehr zur zweiten Natur geworden, dass auch die umgekehrte Reaktion möglich war – der Umgang mit den Kindern beruhigte sie, wo sie sich früher erst hätte beruhigen müssen, bevor sie mit den Kindern umging.
Doch später, als Anne schon am Tisch saß und sich auch ein Brot mit Marmelade machte, während sie fröhlich mit ihrer Großmutter und Derrick plauderte, fand Marjorie Muße, noch einmal nachzudenken. Furchtbare, schreckliche Bilder zogen an ihrem geistigen Auge vorüber, Bilder, ganz in Rot getaucht wie in Blut. Sie konnte alles so klar vor sich sehen. Dot, die betrunken durchs Zimmer taumelte, und Ted neben sich, dem immer wieder ein neuer Grund einfiel, ihr noch ein Glas einzuschenken – Ted war schon immer gut darin gewesen, Ausreden und Gründe zu erfinden. An diesem Abend hatte er sich zu diesem Rendezvous wahrscheinlich aus dem fadenscheinigen Grund mit ihr verabredet, dass sie darüber reden müssten, was sie tun sollten, jetzt, da Dot sicher war, dass sie ein Kind erwartete. Und einen Augenblick lang stand Marjorie auch ein früheres Treffen klar vor Augen, mit einerDot, die fragte: »Aber was sollen wir denn jetzt nur tun ?«, und einem Ted, der in seiner überzeugenden Art erwiderte: »Mach dir keine Sorgen, altes Mädchen. Darum kümmere ich mich schon. Hör mal, Madge geht aus am nächsten Dienstag. Ich werde sagen, dass ich auch ausgehe, und dann kommst du, um die Kinder zu hüten. Dann können wir alles bereden und entscheiden.«
Und dann war Ted ins Haus gekommen und brachte Wein mit. Es war ein warmer stickiger Abend, und Ted umschmeichelte und beschwatzte sie, erst zu einem Glas und dann zu noch einem – so etwas fiel Ted sehr leicht mit seiner aalglatten Wortgewandtheit. Ted wusste alles über diesen Wein, denn er hatte Marjorie schon drei Monate zuvor davon erzählt – genau so, wie er alles darüber wusste, wie viele Menschen sich mit Gas umbrachten und ob sie etwas getrunken hatten oder nicht, bevor sie es taten. Es gab eine kurze Unterbrechung, als Derrick barfuß und im Pyjama die Treppe herunterkam, und dann ... Noch ein Glas, noch zwei Gläser, vielleicht mit einer Dot, die abwehrte: »Nein, wirklich nicht, ich kriege einen richtigen Schwips, wenn ich noch mehr trinke«, und einem Ted, der abwiegelte: »Sei nicht albern, altes Mädchen. Das schadet dir nicht. Wir müssen die Flasche schon noch leer machen«, und dann entschlossen die Gläser wieder füllte. Und irgendwann war Dot völlig hinüber und benommen. Vielleicht sogar bewusstlos, denn Ted hatte ja starke Arme, mit denen er sie in die Küche hinüberführen oder auch -tragen konnte. Jetzt brauchte es nur noch ein, zwei Augenblicke für die weiteren Vorbereitungen – die Flaschen in den Mülleimer werfen, die Gläser ausspülen, das Küchenfenster schließen, während Dot vielleicht dümmlich murmelte: »Was is’n bloß los, Ted?« Und dann – den Gashahn aufdrehen, und die Tür schließen, unddas Haus verlassen, rasch, und zum
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