Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
Billardsalon laufen, wo Mr Lang schon wartend auf die Uhr schaut. Ted war aufgeregt, überdreht, in absolut bester Form – oh, das kannte sie an ihm nur zu gut! – und konnte sein Spiel mit Leichtigkeit gewinnen, konnte nach Hause kommen und der Polizei entgegentreten, immer noch überdreht bis zur Hochspannung von all der Aufregung, sodass er in dieser Nacht auch noch seiner Ehefrau lästig fiel. Und dann, danach, die Reaktion, der Kummer, die Anspannung, die blank liegenden Nerven. Alles fügte sich ineinander, alles.
»Marjorie!«, rief Grannie. »Mummy! Möchtest du noch eine Tasse Tee?«
»Ja, bitte«, erwiderte Marjorie und hielt ihr die Tasse hin. Die Szenen, die sie sich ausgemalt hatte, waren so lebendig gewesen, dass ihre Umgebung ihr wie in einem Traum seltsam unwirklich erschien. Das vertraute Zimmer und die vertrauten Möbel – an genau diesem Tisch hatte sie jahrelang jeden Abend ihre Hausaufgaben gemacht –, das freundliche Lächeln ihrer Mutter, die Gesichter ihrer eigenen Kinder, all das war ihr überraschend fremd.
»Mummy hängt Tagträumen nach«, sagte Anne und bewies damit eine ganz unerwartete Beobachtungsgabe, auch wenn sie wohl nur einen neuen Begriff aus ihrem Wortschatz anbringen wollte, so wie Siebenjährige das nun einmal machten. Anne fielen mittlerweile die Milchzähne aus, und ihr zahnlückenseliges Lächeln war unbeschreiblich charmant. Die Liebe für ihre Kinder trieb Marjorie fast die Tränen in die Augen und vergrößerte ihr Unglück noch. Durstig trank sie ihren Tee und vermied es, irgendwem in die Augen zu sehen. Ihre Kinder sollten nichts bemerken. Ihr Leben lang hatte sie ihr Bestes getan, um sie von aller Scheußlichkeit fernzuhalten.
»Wie kommst du eigentlich mit Mr Ely aus, Mutter?«, fragte Marjorie.
»Wunderbar«, sagte Mutter. »Wirklich, er macht überhaupt keine Schwierigkeiten. Er ist so ruhig, man bemerkt kaum, dass er im Haus ist. Er steht jeden Morgen pünktlich auf, und er kommt früh zurück, und er isst lieber alles wortlos auf, als zu sagen, dass es ihm nicht schmeckt.«
Mutter seufzte ein wenig, und Marjorie wusste, warum. Die unbekümmerte Dot, die letzte Person, um die Mutter sich gekümmert hatte, war das genaue Gegenteil gewesen – immer im letzten Augenblick erst aus dem Bett gefallen, immer durchs Haus getrampelt, immer hemmungslos drauflosgeredet, immer Löcher in den Strümpfen, die Mutter in allerletzter Minute schnell noch stopfen musste. Marjorie hatte damit zu kämpfen, das Gespräch normal weiterzuführen.
»Und es ist doch auch schön, sich mal um einen Mann zu kümmern, nicht wahr, Mutter?«
»Ja«, sagte Mutter einfach nur.
»Darf ich das Gebet sagen, bitte?«, fragte Derrick.
»Ja, Liebling«, erwiderte Marjorie.
Derrick faltete die Hände, schloss die Augen und rasselte das Tischgebet herunter; Anne hatte ebenfalls andächtig die Augen geschlossen und die Hände gefaltet, und Marjorie lächelte mütterlich, als sie in ihre ernsten Gesichter sah. Sie hatte es aufgegeben, regelmäßig in die Kirche zu gehen, und eine strenge religiöse Erziehung der Kinder vermied sie. Sie hatte sie taufen lassen und achtete darauf, dass sie nach jeder Mahlzeit ein Tischgebet sprachen und auch vor dem Einschlafen beteten. Zu mehr aber fühlte sie sich nicht in der Lage. Doch die beiden sahen goldig aus, wie sie jetzt zusammen das Tischgebet sprachen.
»Darf ich aufstehen, bitte?«, fuhr Derrick fort.
Marjorie sah ihre Mutter an, die zustimmend nickte, und Marjorie erlaubte es ihm.
»Guck mal hier , Anne«, sagte Derrick, als er wieder neben dem Solitärbrett hockte. Mrs Clair und Marjorie, die jetzt allein am Tisch saßen, hatten Muße und Gelegenheit, ein paar Blicke zu tauschen.
»Er wird es schon bald ganz vergessen haben«, sagte Mrs Clair. Ihre Geste ließ erkennen, dass sie Derrick meinte, der auf dem Teppich hockte und sich lautstark mit Anne unterhielt.
Marjorie nickte.
»Ich glaube nicht, dass er je wieder darüber redet«, fuhr Mrs Clair fort. »Und du weißt, wie Kinder sind. Niemand wird ihn je dazu bringen können, darüber zu reden.«
Mutter hatte also genau dieselben Schlüsse wie sie selbst aus dem gezogen, was Derrick erzählt hatte. Und sie war sogar noch weitergegangen, so weit, sich zu fragen, ob Derrick vielleicht als Zeuge aussagen müsste. Marjorie rang die Hände. Niemand würde, wenn sie es verhindern könnte, ihren Derrick jemals in einen Gerichtssaal zerren, in den Zeugenstand stellen und ihn von
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