Tödliche Pralinen
die vergiftete Schokolade
dann nicht in den Papierkorb geworfen? Weil Tanneur gar nicht wußte, daß er
vergiftete Pralinen mit sich rumschleppte. Weil Tanneur die Pralinen nicht
vergiftet hatte. Weil er die Wahrheit sagte, wenn er behauptete, sie in seinem
Taxi gefunden zu haben.
Frédéric Tanneur war nicht der Mörder seines
Sohnes!
10
Der Ingenieur
Ich war zufrieden mit meiner Gedankenarbeit. Sie
hatte mir einige Mühe bereitet, aber zu erstklassigen Schlußfolgerungen
geführt. Ja, der liebe Nestor war — wenn auch etwas mitgenommen — noch nicht so
verrostet, wie er aussah.
Übrigens fühlte ich mich jetzt schon viel
munterer. Auf zwei wichtige Dinge wollte ich mich konzentrieren: auf die
tödliche Tüte und die geheimnisvolle Tätigkeit Tanneurs. Wenn ich mit diesen
beiden Trümpfen den frechen Galzat nicht ausstechen konnte, würde ich meinen
Revolver an den Nagel hängen.
Blieb nur noch, mich durch etwas Konkreteres als
durch abstrakte Überlegungen davon zu überzeugen, daß Tanneur für den Korsen
arbeitete und gearbeitet hatte. Zuerst mußte ich mich über die Schießerei in
Montmartre informieren, Datum, Uhrzeit usw. Dann das Recherchierte mit dem
Arbeitsplan der Taxizentrale vergleichen... Eine hübsche Aufgabe! Es wäre auch
keine schlechte Idee gewesen, mir die Liste von Tanneurs Fahrten am 17. August
zu besorgen. So könnte ich vielleicht den Kunden ausfindig machen, der das
ideale Geschenk für die Erbtante auf dem Rücksitz des Taxis vergessen hatte.
Und dann war da noch was: Die schöne Catherine
schien sich sehr für den Giftmord zu interessieren. Wenn ich ihr nun den Kopf
des Mörders auf einem Silbertablett servieren würde, müßte sie wohl oder übel
zugeben, daß ich nicht ganz so blöd war, wie die Polizei, die ihrer Meinung
nach sehr blöd war, erlaubte. Und dann würde René Galzat den kürzeren ziehen.
Vielleicht!
In heller Vorfreude rieb ich mir die Hände,
trank noch einen schwarzen Kaffee und rief Julien Théron an, um Catherines
Adresse in Erfahrung zu bringen. Schließlich mußte ich an dem großen Tag
wissen, wie ich das schöne Kind erreichen könnte. Oder auch früher, man weiß ja
nie...
Sie wohnte in Passy — einem Stadtviertel, das
mir schon immer gefallen hatte — und dort in einer Villa. Eine Villa in Passy!
Mein Traum! Julien fragte mich, ob ich verknallt sei. Ich antwortete „Ja“ und
legte auf. Da er mich gut kannte, schloß er daraus, daß ich es nicht war.
Ein unbestimmtes Gefühl in der Magengegend
veranlaßte mich, zur Uhr zu sehen. Schon elf! Erst jetzt fiel mir auf, wie hoch
die Sonne am Pariser Himmel stand. Darum also hatte Théron so wach gewirkt!
Doch ich hatte noch keinen Hunger. Es war erst
Zeit für den Aperitif.
* * *
Nach dem Mittagessen ging ich in die Agentur Fiat
Lux. Hélène stand auf einem wackligen Schemel und wühlte in vergilbten
Aktenstößen, die oben auf einem Schrank lagen. Ihr Gesicht war staubbedeckt,
und ihre Hände... Besser, man sah nicht hin! Ja, nach der Akte Blouvette-Targuy
zu suchen, war keine Arbeit, die man im Abendkleid erledigen sollte. Und bis
jetzt war die Suche noch nicht mal durch Erfolg gekrönt. Ich fragte meine
Sekretärin nach Neuigkeiten. Roger Zavatter ließ mir ausrichten, er werde mir
mit etwas Glück sehr bald Informationen über Paoli zukommen lassen. Das freute
mich, denn ich brauchte diese Informationen dringender denn je. Gutgelaunt rief
ich Marc Covet an. Der trinkfreudige Journalist klang eher verschlafen.
„Was tut Galzat?“ fragte ich ihn.
Der Name wirkte auf ihn wie ein Peitschenhieb.
„Gestatten Sie, daß ich lache!“ rief Covet und
lachte tatsächlich. „Das Mäuschen von gestern nacht hat bei René einen akuten
Hirnschaden verursacht. Er sitzt in seinem Büro und schreibt Gedichte!“
„Der direkte Weg, um beim Crépu rauszufliegen.“ Jetzt war ich dran mit Lachen. Meine Laune wurde immer besser. „Von
Montparnasse nach Montmartre: Können Sie mir sagen, wann genau ein Wagen von
Paoli einen Ausflug nach Montmartre unternommen hat? Sie wissen schon, die
Schießerei Anfang des Jahres...“
„Dazu müßte ich runter ins Archiv“, antwortete
Covet ausweichend.
„Genau darum möchte ich Sie bitten!“
Nun... ja... also... Na schön, er werde
zurückrufen. Eine Viertelstunde später kannte ich das genaue Datum. Es war am 28.
Januar gewesen.
Zur Kontaktpflege rief ich Faroux an. Der
Inspektor schäumte vor Wut. Frédéric Tanneur blieb unauffindbar! Der könne
Weitere Kostenlose Bücher