Tödliche Pralinen
Chef! Das Schönste
sind doch für Sie die Frauen, stimmt’s? Also: Madame Blouvette-Targuy ist eine
geborene Larcher. Catherine Larcher, Thérons Freundin und Galzats
unerreichbarer Schwarm, ist die Schwägerin unseres schönen Doktors.“
„Was?“
Meine Pfeife, die ich mir gerade anzünden
wollte, flog in eine Ecke des Büros.
„Was?“
Ich sprang auf.
„Was?“
Ich mußte den Eindruck eines Irren machen:
hervortretende Augen, offener Mund, aus dem ein immer lauteres „Was?“ kam. Aber
der Eindruck täuschte. In meinem Hirn arbeitete es fieberhaft. Wenn man mir in
diesem Moment ein rohes Ei auf den Kopf gelegt hätte, wär’s im Nu hartgekocht
gewesen.
„Wissen Sie was?“ brachte ich endlich hervor. „Der
Wagen, der vor Blouvettes Haus stand, diese Luxuslimousine, das war der Wagen
von Catherine Larcher, jetzt fällt mir das auf! Hab mich gleich gefragt, wo ich
den Schlitten schon mal gesehen hatte... Vor Blouvettes Haustür, verdammt! Und
die Frau, die er rausgeschmissen hat, war Catherine... Die weiß was... Und
Galzat, diese Kanaille, weiß, daß sie was weiß... Vom Schürzenjagen mal
abgesehen, deswegen will er nicht, daß ich Catherine ,anfasse’, wie er es
nennt... Wenn da was rauszukriegen ist, will er es sein, der was rauskriegt,
und zwar nur er all eine! In den letzten Tagen war er häufig bei Blouvette und
in der Bibliothèque Nationale... Er ahnt was, bestimmt! Oder er weiß
schon was... Rufen Sie Laguerre an, den Bibliothekar. Er wird doch wissen, ob
sie ein Exemplar der Nötigen Sauberkeit haben.“
Hélène wählte die Nummer der Bibliothèque
Nationale und ließ sich mit Laguerre verbinden. Als sie ihn endlich an der
Strippe hatte, stellte sie die entscheidende Frage. Ein paar Minuten später
hatte sie die Bestätigung. Ob das Buch in den letzten Tagen ausgeliehen worden
sei? Ja, von einem gewissen René Galzat, war die Antwort.
„Dieser scheinheilige Hund!“ schimpfte ich. „Weiß
genau-soviel wie wir... wenn nicht mehr! Wäre ich noch ein paar Tage länger im
Hospital geblieben, hätte er mich in die Pfanne gehauen!“
Das Telefon unterbrach meine Haßtiraden. Hélène
ging ran.
„Hallo? ... Ach, guten Tag, Inspektor.“
Sie warf mir einen fragenden Blick zu. Ich
schüttelte den Kopf.
„Monsieur Burma ist leider nicht da,
Inspektor... Möchten Sie... Ach... Ja? ... Wie bitte?“
Mit weitaufgerissenen Augen hörte sie Faroux zu,
ohne ihn zu unterbrechen. Als sie auflegte, war sie weiß wie die Wand meines
Zimmers im Hospital.
„Also... Also nein... wirklich!“ stammelte sie.
„Was hat Faroux gesagt? Daß Sie die Frau seines
Lebens sind? Oder daß er einen Haftbefehl gegen mich hat?“
Meine Sekretärin seufzte tief auf.
„Daß ein... ein Kranker oder... Na ja, irgend
jemand im Hospital hat was von der Medizin eingenommen oder den Tee getrunken,
der für Sie bestimmt war... Er ist tot... Arsen... Tödliche Dosis...“
* * *
Wir brauchten eine Weile, bis wir uns wieder
beruhigt hatten. Dann noch eine, bis wir wieder klar denken und eine Hypothese
entwickeln konnten.
„Nehmen wir einmal an, Blouvette-Targuy ist der
Giftmörder“, begann ich. „Er hat eine Larcher geheiratet, liebt aber vielleicht
deren Schwester Catherine. Diese gibt ihm einen Korb. Schließlich ist er
bereits verheiratet. Wenn er nun Witwer würde? Er versucht, seine Frau um die
Ecke zu bringen. Ohne Erfolg. Die Wiederauferstandene riecht den Braten.
Catherine ebenfalls. Er weiß, daß die Schwestern was wissen. Deswegen und wegen
des gescheiterten Mordversuchs rastet er aus. Er erklärt dem gesamten
Menschengeschlecht den Krieg, was ja mit den Ideen seiner Jugend in Einklang
steht. Denn keine Tat ist willkürlich, Hélène, vergessen Sie das nicht! Wie
jemand, der sich wichtig tun will und aller Welt erzählt, er wolle sich
umbringen, mit hoher Wahrscheinlichkeit früher oder später einen Revolver gegen
sich selbst richtet und abdrückt... Unser Doktor verteilt also überall
Pralinen. Wie? Das ist hier die Frage... Und warum immer Pralinen? Weil er
damit Kinder und Jugendliche erwischen kann, Menschen, die er, der langsam,
aber sicher alt wird, ganz besonders haßt. Seine Schwägerin läßt ihm gegenüber
durchblicken, daß sie durchblickt. Sie findet den Arzt bestialisch. Er schmeißt
sie raus. Was ich allerdings nicht verstehe, ist, warum seine Frau weiterhin
mit einem solchen Monster zusammenlebt. Und was ich noch viel weniger verstehe,
ist, warum Catherine die Bestie nicht
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