Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
machen. Es zog sie möglichst weit weg, ans Meer, in
die Wüste. Die Berge waren ihr seit der Kindheit allzu vertraut, schränkten ihren
Horizont ein, standen ihr eher im Weg – lange bevor in den Achtzigerjahren, als
die Jugend der Stadt Zürich für die Schaffung eines Fonds für Alternativkultur auf
die Straße ging, der politische Slogan aufkam: »Nieder mit den Bergen. Freie Sicht
aufs Mittelmeer!«
Als sie
Alex kennenlernte und sich in ihn verliebte, ließ sie sich jedoch von seiner Begeisterung
für die Berge und das Klettern anstecken. Und schon passte sie sich an, viel zu
sehr, obwohl sie sich als Kind geschworen hatte, sich nie für einen Mann aufzuopfern,
wie ihre Mutter es ihr Leben lang tat.
Was gab es Schöneres, als frei von
beruflichen Verpflichtungen zu sein – sie hatte eben ihre Stelle aufgegeben und
noch keine neue angenommen – und anfangs Sommer für einige Wochen mit dem Freund
ins Ausland zu verreisen.
Zuerst machten
sie einen kurzen Abstecher nach Genf. Dort hatte Alex eine Besprechung mit einem
Anwalt. Sie wartete unterdessen, mehr oder weniger geduldig, im Auto.
Endlich
kam er mit einem Stoß Akten unter dem Arm aus dem Büro seines Beraters zurück und
erklärte, er habe vor, in Deutschland oder in Südtirol eine Liegenschaft zu kaufen
und so sein Geld anzulegen. »Ich möchte bald einmal irgendwo richtig zu Hause sein«,
betonte er eifrig, als hätte er sein eigentliches Ziel im Leben gefunden. Sie fühlte
sich ein bisschen ausgeschlossen.
Den ganzen
Sommer war Alex von der fixen Idee besessen, ein Haus oder – noch schlimmer – ein
Motel oder Hotel zu kaufen. Überall, wo sie hinfuhren, in Innsbruck, Kufstein, Bozen,
Wolkenstein oder wo auch immer: Er besichtigte oft Häuser und Grundstücke, verhandelte
stundenlang mit Immobilienhändlern und Maklern, interessierte sich sogar für den
Bau eines Motels und suchte einen passenden Bauplatz in der Nähe einer Autobahn.
Verrückt,
solche Pläne! Alex als Chef in einem Motel an einer Autobahn: undenkbar. Durch und
durch Einzelgänger und ohne Erfahrung im Tourismus, wäre er nicht fähig gewesen,
einen Beherbergungsbetrieb zu führen. Ungeduldig und aufbrausend, wie er sich oft
gebärdete, hätte er nicht mit Gästen umgehen können und sich vermutlich mit jedem
zweiten zerstritten. Zudem war er extrem lärmempfindlich und alles andere als ein
Geschäftsmann. Er hätte einen Pächter oder Verwalter einstellen müssen. Finanziell
wäre dies kaum aufgegangen, wirklich reich war Alex nicht, vermutete Eva, die er
über die Höhe seines Vermögens oder seiner Ersparnisse im Unklaren ließ. Zudem dachte
man in seinem Alter – er war nur wenige Jahre älter als sie – doch noch lange nicht
ans Privatisieren.
Eva versuchte
mit ihrer ganzen Überzeugungskraft immer wieder, ihn vom Kauf einer Immobilie abzuhalten,
das hielt sie für eine verrückte Idee. Den Wunsch nach einem eigenen Haus konnte
sie zum Teil begreifen, das zeigte, wie sehr er sich insgeheim nach Sicherheit und
Geborgenheit sehnte. Hatte er sich deshalb in sie verliebt? Eine Schweizerin symbolisierte
vielleicht für ihn einen sicheren, stabilen Wert.
Was für
eine Illusion!
Von München aus fuhren sie über
den Brenner nach Italien und übernachteten in einem Gasthof in Brixen, der alten
Bischofsstadt. Dort verpasste Eva es, den Gedenkstein an Oswald von Wolkenstein
am Dom zu besichtigen. Noch wusste sie viel zu wenig über den letzten Minnesänger
und seine Lieder. Dass es Ähnlichkeiten zwischen Alex und Oswald gab, obwohl der
von Wolkenstein Ende des Spätmittelalters gelebt hatte, fiel ihr erst Jahre später
auf, als sie die Biographie »Ich Wolkenstein« von Dieter Kühn über den Ritter und
Abenteurer las.
»Wir sind bald zu Hause«, freute
sich Alex. Damit bezeichnete er die drei Dörfer Kastelruth/Castelrotto, Seis/Siusi
und Völs/Fiè hoch ob dem Eisacktal am Rand des Grödner Tals.
Südlich
blauer Himmel, mit Blumen überwachsene Alpweiden, tiefgrüner Bergwald mit Fichten
und Lärchen, alte Schlösser, Burgen und Kapellen auf romantischen Hügeln, gewaltige,
weite Hochflächen zwischen tief eingeschnittenen Tälern, malerische Dörfchen, überragt
von den glänzenden Zwiebeltürmen der Kirchen. Über allem die Dolomiten: Kalksteintürme,
bizarre Felsengebilde, steil und von magischer Anziehungskraft. Der Schlern und
der Rosengarten von König Laurin, die Heimat der altdeutschen Sagen- und Mythenwelt
mit Gestalten wie Mondprinzessinnen und
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