Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
Zwergenkönigen.
Eine Landschaft,
die Carl Zuckmayer in seiner Novelle »Magdalena von Bozen« beschrieben hat. Eva
erinnerte sich auf einmal wieder an den Inhalt dieses Buches, das sie vor langem
gelesen hatte. An das eigenartige Geschwisterpaar Firmin und Magdalena, den alten
Diener Grisi, die Frau von Firmin, genannt »Kuh«, an Begegnungen im Mondschein,
an das Schloss Salwàre, an die bittersüße Liebesgeschichte zwischen Thomas und Menega,
der »Magdalena von Bozen«, und an die Bergtour auf den Latemar, bei der Firmin und
seine Schwester im Nebel zu Tode stürzten …
Die Gegensätze
in Südtirol empfand Eva als reizvoll: die Liebenswürdigkeit Österreichs und das
Südliche Italiens. Blond bezopfte Mädchen und schwarz gelockte Knaben (oder umgekehrt).
Die Zweisprachigkeit, nein eigentlich Dreisprachigkeit, denn die ladinische Sprache
konnte sich in den unzugänglichen Dolomitentälern teilweise erhalten. Zuckerüberpuderter
Apfelstrudel und ein Teller pasta asciutta in einem rifugio , Gewürztraminer
und Taleggio-Käse.
Erst nach
Tagen fiel ihr die Kluft auf zwischen dem italienisch- und dem deutschsprachigen
Südtirol; sie spürte den unterschwelligen Hass. Ab und zu las man von einem Attentat,
von politischen Spannungen. Die Einheimischen, fromm und dennoch lebenslustig, hatten
sich zwar äußerlich mit der Situation abgefunden, aber die innere Abwehr gegen alles
Italienische, auch die Sprache, ließ sich nicht verleugnen.
Als sie gegen Völs hinauffuhren,
eröffnete ihr Alex, er habe dem Baumeister schriftlich den Auftrag erteilt, in seinem
Häuschen oben am Weiher einen Schrank einzubauen und eine Terrasse rundum zu errichten,
alles aus Holz. Aber so, wie er die Leute hier kenne, werde die Arbeit wohl kaum
fertig sein.
Die Frau
des Baumeisters, die blonden Zöpfe auf altmodische Art kranzartig um den Kopf gebunden,
mit zwei kleinen Kindern im Geleit, öffnete die Tür, schlug denn auch die Hände
zusammen und rief entsetzt aus:
»Herr Doktor
– Sie? Meine Güte, wir haben Sie noch nicht erwartet! Mein Mann wird gleich kommen.
Sie wollen doch nicht etwa schon in der Hütte wohnen?«
Immer wieder
fiel Eva auf, dass die Einheimischen Alex mit »Doktor« ansprachen und er seinen
akademischen Titel ausnutzte, was sie störte. Lächerlich, bei den Leuten, die ihn
seit seiner Kindheit kannten, mit dem akademischen Titel aufzutrumpfen.
Das kleine
Haus am Völser Weiher war, wie sich herausstellte, noch nicht bezugsbereit, sodass
sie beim Schwager des Baumeisters neben der Sägerei am Waldrand vorläufig ein Gastzimmer
beziehen mussten.
»Wir bleiben
so lange, bis wir in die Hütte einziehen können, aber bezahlen werde ich das Ersatzzimmer
in der Sägerei nicht. Wann fangen Sie denn nun endlich an mit der Arbeit? Ich werde
hinauffahren und nachschauen müssen. Auf Sie ist ja kein Verlass«, ereiferte sich
Alex.
Samstagabend. Von weitem hörte man
Marschmusik. Am Waldrand waren Tische und Bänke aufgestellt. Es gab Spiele, Bier,
Wein, Würste und Brot, und auf den hölzernen Brettern wurde zum Klang einer einheimischen
Kapelle getanzt. Die Musikanten trugen farbige, bestickte Joppen, weiße Halskrausen
und breite Hüte, mit den berühmten Gratschenfedern geschmückt.
Eva stand
mit Alex eine Weile herum und beobachtete das laute, fröhliche Treiben. Ein wenig
fühlte sie sich hier schon zu Hause – oder bildete es sich ein. Sie wünschte sich
etwas naiv, dazuzugehören, ein Teil von Alex’ Welt zu werden.
Am nächsten Tag, einem Sonntag,
regnete es. Nebel verhüllte die Kalksteinwände der Dolomiten, und aus der geplanten
Tour, der ersten, schien nichts zu werden. Enttäuscht – insgeheim auch ein wenig
erleichtert – saß Eva mit Alex in voller Bergausrüstung beim Frühstück im Dorf,
wo die Einheimischen nach der Messe durch die engen Gässchen schlenderten. Sie hatte
noch eine Gnadenfrist, bevor es mit dem Klettern richtig losgehen würde, und gemischte
Gefühle, vor allem ein leichtes, unangenehmes Ziehen in der Magengegend, eine Art
Lampenfieber, das den ganzen Sommer über immer wieder auftreten sollte.
Auf der
kleinen Dolomitenfahrt zu König Laurins Rosengarten, die sie nach dem Frühstück
mit dem Auto von Kastelruth aus machten, von Dorf zu Dorf, von Tal zu Tal, von Pass
zu Pass, gaben die Wolken ab und zu den Blick frei auf Zacken und Spitzen, Gletscher,
Abgründe, Geröllhalden und Kletterwände.
Alex fand
auf einmal, die harmlose Tour auf den Piz Boè, den einfachsten
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