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Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)

Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)

Titel: Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Traber
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sich in Gedanken auf luftigen Berghöhen
in den Dolomiten, manchmal sogar auf einem Gletscher, aufgehalten hätte – und deshalb
die unüblich hohe Temperatur vorübergehend vergaß. Zudem gab ihr das Geräusch des
Ventilators die Illusion, ein leichter Luftstoß bringe etwas Kühlung.
    Das Stichwort
Gefängnis hatte sie jäh zurückgeholt in die Gegenwart. Auf der gegenüberliegenden
Seite des Hauses, einer aufgelassenen Teppichfabrik, befand sich seit Ende des 19.
Jahrhunderts die Justizanstalt von Stein, ein Hochsicherheitsgefängnis mit 900 Insassen,
lauter Männern. Schwere Fälle. Und das in einem ehemaligen Frauenkloster. Wenn man
als Tourist ankam und sich umsah in der Kulturmeile, vom Kunsthaus herüberschaute
zum Karikatur-Museum mit dem architektonisch geschickt gewählten zipfelmützenähnlichen
Dach und dann weiterging, sah man zwar ein altes, gelbes Gebäude mit Glockenturm,
sorgfältig renoviert. Man wurde auf einige vergitterte Fenster aufmerksam, merkte
dann bald, dass diese nicht echt waren, sondern zur Ausstellung der Karikaturen
des amerikanischen Künstlers Carl Barks gehörten. Vor dem Karikatur-Museum standen
die lustigen »Panzerknacker« in einer Reihe mit einem ironischen Spruch, von Erika
Fuchs ins Deutsche übertragen: » Wir plagen uns so wacker, wir armen
Panzerknacker, doch unsre ganze Kunst, die war umsunst.«
     
    Man schmunzelte, ging daran
vorbei – und übersah leicht, dass etwas weiter weg angeschrieben stand: Justizgefängnis.
Den Weg hinauf am Bach entlang zur Universität beachtete man als Besucher kaum.
Dort erkannte man deutlich die Überwachungstürme, den Stacheldraht auf den hohen
Mauern … Erst, wenn man um das Gebäude herumging – das hatte Eva mehrmals, über
die Größe staunend, getan –, konnte man feststellen, wie monumental das Gefängnis
war. Das größte von ganz Österreich!
    In den Reiseführern
wurde die Justizanstalt Stein nicht erwähnt. Absichtlich nicht? Als gäbe es sie
nicht, und dies ausgerechnet im Herzen der Kulturmeile. Bedeutete das: Die Kulturmeile
soll und darf nicht durch ein Gefängnis »beschmutzt« werden? Oder war das eben typisch
österreichisch, etwas morbid, doppelbödig? Eine besondere Art, Betroffenheit durch
eine Groteske darzustellen?
    Zartbesaitete
Dichterinnen konnten im Dachgeschoß des Literaturhauses in der Nähe von Verbrechern
leicht schlaflose Nächte oder Alpträume bekommen.
    Eva jedenfalls
beschäftigte das Gefängnis. Fast Tag und Nacht. Sie konnte das Haus nicht verlassen,
ohne die Justizanstalt im Blick zu haben und an die armen Teufel zu denken, die
dort einsaßen, obwohl die Fensterfront in ihrem Atelier auf die andere Seite ging,
Richtung blauer Donau, die allerdings kaum je blau und alles andere als harmlos
war. Im Lauf der Jahrhunderte hatten immer wieder Überschwemmungen, vor allem in
Stein, verheerende Verwüstungen angerichtet.
    Sie war
fast sicher, die meisten der 900 Insassen des Gefängnisses, das ihr räumlich so
nahe war wie kein anderes je zuvor und dessen Anwesenheit sie nicht verdrängen konnte
(und auch nicht wollte), würden dem Schriftsteller Ludwig Hohl zustimmen. Sie würden
auf jeden Berg steigen, um dem Gefängnis zu entrinnen! Und diesmal war dies nicht
symbolisch, sondern wortwörtlich gemeint.
    Sie stellte
sich vor, wie sie dort lebten, eher vegetierten, wie sie in ihren engen Zellen ausharrten,
wie sie mit der Einsamkeit, mit ihrer Tat und ihrer Schuld fertig werden mussten.
Lebenslänglich. Das bedeutete in der heutigen Zeit, bei guter Führung, 15 Jahre
Knast. Dagegen schien jede Himalaya-Besteigung (fast) ein Kinderspiel.
    Und sie
glaubte nicht, dass aus einem Straffälligen nach einem Aufenthalt im Gefängnis ein
besserer Mensch würde; die meisten gingen daran zugrunde.
     
    Da sie ohnehin ständig vom Thema
abschweifte, kehrte sie in Gedanken zurück zu Ludwig Hohl, einem Außenseiter der
Schweizer Literatur, der erst nach seinem Tod eine anerkannte Größe geworden war.
Wurde er noch gelesen? Sie wusste es nicht. Vermutlich blieb er ein Geheimtipp,
ein Randständiger, ein Schwieriger, kam ab und zu kurz in Mode, wenn ein runder
Geburts- oder Todestag fällig war, und wurde wieder vergessen.
    Er, ein
Pfarrerssohn, verbrachte seine Jugend im Thurgau und wurde, weil er angeblich einen
schlechten Einfluss auf seine Mitschüler ausübte, vor Schulende aus der Kantonsschule
in Frauenfeld ausgewiesen. Später bestand er die Matura nicht, übte nie einen regulären
Beruf aus und lebte

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