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Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)

Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)

Titel: Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Traber
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eines
Berliner Arztes, führte den Herrn Doktor, wie sie Alex betitelte, mit seiner Frau
oder Freundin von Stockwerk zu Stockwerk, beklagte sich über die enorme Arbeit im
weitläufigen, schlecht heizbaren Gebäude – und über die Abgeschiedenheit und Einsamkeit.
    Plötzlich
kam eine dunkle Gestalt die Treppe herunter, wie ein Geist: der Schlossherr, Arzt
und Forscher, in einem braunen, verwaschenen Morgenmantel. Er konnte sich kaum aufrecht
halten, seine Augen waren fiebrig und blutunterlaufen.
    »Mein Mann
trinkt leider manchmal zu viel«, flüsterte die Dame Eva zu. Die eigenartig glänzenden
Augen des Arztes ließen eher an Rauschgift als an Alkoholmissbrauch denken, vielleicht
war er morphiumsüchtig.
    Das Schloss
sei für eine halbe Million DM zu verkaufen. »Eine rare Gelegenheit, da sollten Sie
rasch zuschlagen«, meinte der geschäftstüchtige Immobilienhändler.
    »Uns eilt
es nicht mit dem Verkauf, wir können warten«, erklärte jedoch die lebhafte Berlinerin.
»Es gehört alles uns, samt Umschwung, schuldenfrei, die Hypotheken sind längst abbezahlt.«
    Nach der
Besichtigung wurden sie in die Bibliothek geführt, und der Hausherr öffnete eine
Flasche Rotwein, schenkte ein, hob mit zitternden Händen sein Glas und sagte zu
Eva: »Auf Ihr Wohl, gnädige Frau, diesen Beaujolais trinken wir aus über hundertjährigen
Gläsern.«
    Sie fühlte
sich trotz der Bücher im finstern Raum nicht wohl. Was nützte dem Paar der ganze
Reichtum? Der eine Sohn, erfuhren sie, habe sich mit dem Vater zerstritten und sei
aus Protest Amerikaner geworden. (Eva wagte nicht, Alex anzuschauen, der dasselbe
in der Rolle des Sohnes erlebt hatte.) In der Vergangenheit des Arztes musste es
einen dunklen Punkt geben. Weshalb zerstörte er sich mit Alkohol oder Morphium oder
beidem? Um etwas zu verdrängen, zu vergessen? Hatte er vielleicht irgendwelche ›Forschungen‹
unter Hitler gemacht? Doch auf solche Fragen hätte man höchstens ausweichende Antworten
erhalten.
     
    Alex drängte zum Aufbruch und Eva
war erleichtert, dass er das Schloss nicht kaufen wollte, es hätte ihnen bestimmt
kein Glück gebracht. In Altötting kehrten sie in einem fast leeren Gasthof ein.
Um acht Uhr abends war das Städtchen bereits wie ausgestorben, still und düster.
Sie hatte plötzlich Mühe, sich auf Prag zu freuen. Dort müsste sie vermutlich tagelang
allein herumsitzen und auf Alex warten, wenn er Konferenzen und Vorträge besuchte,
nahm sie an.
    Sie fuhren
durch eine einsame Gegend, und ein Gefühl von Melancholie überfiel beide. Sehr spät
übernachteten sie in einem Gasthof bei Simbach.
    »Der letzte
Tag in der Freiheit«, versuchte Alex am nächsten Morgen zu scherzen, »vielleicht
lassen sie uns nicht über die Grenze.«
    »Oder nicht
mehr zurück, das wäre schlimmer«, fand Eva.
     
    Passau – Freymuth – Finsterau. Dichter
Nebel, erste Herbststimmung. Die Straße wurde immer enger, dafür der Wald, der Böhmerwald,
mächtiger. Eva summte Smetana-Melodien und Alex pfiff mit. Tafeln zeigten die nahe
Grenze an. Sie fuhren auf einer Waldstraße. Plötzlich Holzbarrieren, und in roten,
großen Lettern stand: GRENZE! HALT! Ein Beamter in feldgrüner Uniform trat aus einer
kleinen Baracke und fuhr sie barsch an: »Was wollen Sie hier? Sie können nicht weiterfahren.
Dies ist kein offizieller Grenzübergang. Die Tschechen drüben sind schwer bewaffnet,
sie lassen niemanden durch.«
    Die Grenze,
die kein »richtiger« Grenzübergang war, sondern das Ende der Welt zu sein schien,
hatte etwas Beklemmendes. Schweigend fuhren sie die gleiche Strecke zurück nach
Freistadt, wo sich der offizielle Grenzübergang befand.
    Freistadt
war die letzte Ortschaft vor der Grenze. Dann hölzerne Wachttürme, ein Stacheldrahtzaun,
Schranken, Hundegebell vom Zollgebäude her und einige unheimliche Warteminuten,
bis sie ihre Pässe, die sie zur Kontrolle einem Beamten hatten aushändigen müssen,
zurückbekamen und endlich weiterfahren durften. Nun befanden sie sich in der Tschechoslowakei,
wie die Tschechei damals noch hieß. Eintönige Landschaft, Felder und Wälder, kaum
Dörfer. Alte Häuser mit zerbröckelnden Mauern, keine Schaufenster, kein Kino, keine
einladenden Cafés, keine Dorfbrunnen, keine Blumen vor den Fenstern.
    Auf einmal,
überraschend, tauchten moderne Plattenbauten auf – wie überall am Eingang einer
Großstadt. Bis sie im Zentrum von Prag ankamen, war es dunkel geworden. Spärliche
Beleuchtung in den verlassenen Straßen. Düsterkeit

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