Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
gemütlich bei einem Glas
Wein saßen und auf eine gemeinsame Zukunft anstoßen konnten. Zugegeben, es passte
zu ihm, zwischen Felsen und reißendem Gletscherwasser einen Heiratsantrag zu machen!
Und sie, Eva, offenbar hoffnungslos romantisch, hatte auf einen feierlichen Rahmen
mit Kerzenlicht, Liebeserklärung und innigem Kuss gewartet und gehofft … Es war
zum Heulen komisch, wie sie da verschwitzt, in ihrem einzigen Sommerkleid, außer
Atem und mit den Sandalen in der Hand auf dem Felsen zu ihm aufschaute und ihn eigentlich
hätte küssen und umarmen mögen oder sollen – oder eher er sie.
Sie zögerte,
blieb wie angewurzelt stehen.
Die Nacht
am Brenner kam ihr in den Sinn, die Feuerprobe, die sie bestanden hatte,
nicht er. Der Abend allein im Gasthof am Völser Weiher, ihre Zweifel. Alex vorne
an der Spitze einer Seilschaft, sein gebräuntes Gesicht, seine Sicherheit im Fels,
seine Überlegenheit auf den Touren, wenn er sie und die anderen auf einen Gipfel
führte. Ein ganzes Leben mit ihm?
Es war ihr
im Moment unmöglich, ein klares Ja zu sagen, obwohl sie sich den ganzen Sommer über
nichts sehnlicher gewünscht hatte, als gefragt zu werden, ob sie seine Frau werden
wolle! Sie wartete auf irgendetwas, auf ein Zeichen, ein Zeichen von Liebe, von
Zuneigung und Zärtlichkeit vielleicht, und wusste: Es blieben ihr noch zwei, drei
Tage, dann … würde er nach Rom abreisen, und sie würde ihn sehr lange nicht mehr
sehen. Wie würden sie beide eine solche Trennung überstehen?
»Wie stellst
du dir denn dieses Heiraten vor, Alex?«, brachte sie endlich, nach einer peinlichen
Pause, heraus.
»Ich muss
nochmals sechs, sieben Monate nach Saudi-Arabien zurück und dort ein Projekt beenden,
ich bin vertraglich gebunden. Ich kann dich, wie du weißt, nicht mitnehmen, unmöglich.«
Er seufzte und setzte hinzu: »Aber nachher …«
Eva schwieg.
»Komm, gehen
wir weiter, sonst verpassen wir Francesco«, sagte Alex mit ganz anderer Stimme,
und schon war er wieder ein Stück voraus und nach kurzer Zeit um die nächste Biegung
des Bachs verschwunden. Er schien in Gedanken bereits bei den italienischen Freunden
zu sein, plante vermutlich die letzte Bergtour, er wollte Francesco überreden mitzukommen.
Eva beeilte
sich nicht, ihn einzuholen. Die Italiener konnten ruhig auf sie warten. Sie war
froh, einige Minuten allein sein zu können. Sie wollte zwar jetzt nicht über Alex’
Antrag nachdenken, sondern später bei einer anderen, hoffentlich besseren Gelegenheit
spontan darauf reagieren. Sie war insgeheim enttäuscht. Alex schien sich ihrer Liebe
zu sicher, er gab sich keine Mühe mehr, er kämpfte nicht um sie. Liebte er sie?
Sie wusste es nicht wirklich, immer noch nicht.
Und ausgerechnet
heute, wo sie mit einem gemütlichen Vier-Uhr-Tee in der noblen Villa gerechnet hatte
und ausnahmsweise einmal ein hübsches Kleid trug, watete sie nun durch das wilde
Bachbett.
Das passte
zu Alex.
Marianne lachte, als Eva ihr später
die Szene im Wildbach beschrieb. Ihre Neugier war noch nicht befriedigt.
»Sag mal,
habt ihr denn vorher nie von Verlobung oder Heirat gesprochen?«
»Nein, das
Thema war den ganzen Sommer tabu, obwohl mir Alex ja ganz am Anfang sofort einen
Heiratsantrag gemacht und nachher in seinen Briefen immer wieder von einem gemeinsamen
Leben geschwärmt hatte. Nur einmal wurde die Zukunft erwähnt, allerdings nicht von
ihm. Ich erinnere mich gut, ich stand auf dem Balkon der Pension ›Erika‹, schaute
zum Schlern hinauf und spürte mit leiser Wehmut, dass der Sommer bald zu Ende sein
würde. Die Farben waren noch intensiver geworden und der Himmel manchmal tiefblau
und klar, kaum auszuhalten vor Schönheit. Schwester Anna, die Pflegerin von Alex’
Mutter, fragte mich in diesem Moment überraschend, wie es nun mit uns beiden weitergehen
werde. Sie schien meine Gedanken erraten zu haben. Ich zuckte die Schultern, musste
leer schlucken.
›Sie wissen
doch, dass es nicht leicht sein wird mit Alex, nicht wahr?‹, sagte Schwester Anna
sanft und verständnisvoll. ›Ich kenne ihn gut, seit seiner Kindheit. Ehrlich gesagt,
Sie tun mir manchmal leid. Lassen Sie sich nicht alles gefallen, es wäre schade
um Sie.‹
Ich versuchte,
ihr zu erklären, dass ich Alex eben … akzeptierte, wie er sei, mit all seinen Fehlern.
Ich hoffte, dass alles gut kommen werde. Sie wisse ja, wie sehr er sich nach Geborgenheit
und Sicherheit sehnte. Sonst … werde das Leben auch ohne ihn weitergehen, erklärte
ich, und das
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