Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
Tag für
sie eine Aufgabe zu erfüllen, abends folgte die Tortur des Alleinessens am Katzentischchen.
Im Kloster nebenan ging es sicher fröhlicher zu. Nach dem Abendessen setzte sich
Eva an die kleine, meist fast leere Hotelbar, unterhielt sich ein bisschen mit der
Barmaid und trank Rotwein, bis ihr die Augen fast zufielen und sie dann ins Bett
sinken und sofort einschlafen konnte. Engelberg blieb eine ihr fremde, unzugängliche
Welt. Nie mehr, schwor sie sich, wollte sie im Januar allein in den Bergen Ferien
verbringen.
Kein einziges
Mal begegnete sie im Dorf einer alten, groß gewachsenen Dame mit Pelzmütze oder
altmodischem Hut, die sich als Felicitas von Reznicek hätte zu erkennen geben können.
Mit ihr hätte sie lieber über den berühmten Vater als über das Bergsteigen reden
wollen.
10
Aus heiterem Himmel erhielt Alex
eines Tages ein Telegramm aus Rom. Sein Urlaub war abgelaufen, er musste sich in
einer Woche bei der Food and Agricultural Organisation FAO in Rom melden. Man erwartete
ihn dringend zu wichtigen Sitzungen.
Für langes
Abschiednehmen blieb kaum Zeit. So schnell, wie sie gekommen waren, so überstürzt
würden sie abreisen, stellte Eva enttäuscht fest. Alex wollte sich vor einer letzten
längeren Hochtour wenigstens bei der Familie Manzoni persönlich verabschieden. Als
sie bei der Villa eintrafen, war nur das Dienstmädchen zuhause, die ganze Familie
sei oben in Rotzes am Bach beim Picknick, erfuhren sie.
Es war ein
heißer Tag, die Sonne flimmerte durch die Bäume. Blumendüfte und Bienengesumm, südlich-blauer
Himmel.
»Komm, wir
gehen sie suchen, sie können nicht weit sein«, schlug Alex vor und zog Eva mit sich.
Sie gingen
kreuz und quer über Wiesen, an Chalets und Bauernhäusern vorbei, dann weit vom Weg
ab zum Wildbach hinauf. Das Flussbett war breit, steinig, auf einer Seite fast ausgetrocknet,
mit dürren Holzstämmen und Ästen, und man konnte im Bach gehen. Alex schritt mit
langen Schritten voraus, wie immer.
Eva versuchte,
ihm zu folgen, bückte sich unter den tief herabhängenden Zweigen, die sich in ihrem
Sommerrock verfingen, zerkratzte sich die nackten Arme und Beine, und Blätter und
Blüten fielen ihr in die Haare. Dann wieder musste sie von Felsblock zu Felsblock
über reißendes Gletscherwasser springen, und als das sandig-steinige Bachbett schmaler
wurde und das Wasser höher, zog sie die Sandalen aus und ging mit nackten Füßen
weiter.
»Eva, kommst
du?«
»Nicht so
schnell. Warte doch bitte auf mich.«
Und plötzlich
blieb Alex stehen und wartete tatsächlich, bis sie ihn eingeholt hatte. Halb scherzend,
halb ernsthaft warf er ihr hastig Fragen an den Kopf – aus heiterem Himmel:
»Eva, würdest
du mich heiraten? Hast du es dir überlegt? Ernsthaft? Du kennst mich jetzt, du weißt,
was für ein unsteter, unbequemer, ruheloser Mensch ich bin. Hast du noch nicht genug
von mir? Würdest du es wagen, mit mir zu leben, könntest du meine Fehler ertragen?
Oder bist du froh, mich bald loszuwerden?« Er holte tief Atem und wiederholte den
entscheidenden Satz: »Willst du mich heiraten?«
Hatte sie
nicht insgeheim schon lange auf diesen wichtigen, diesen alles entscheidenden Moment
gewartet, darauf gehofft? Und nun stand sie da, völlig überrumpelt, ihr Herz klopfte
nicht nur vom schnellen Gehen. Sie setzte sich auf einen Felsblock, brauchte einen
Moment Zeit, um sich zu fassen. Alex stand in seiner ganzen Größe vor ihr, irgendwie
unbeholfen, erwartungsvoll …
Leise Panik
ergriff sie. Was sollte sie antworten? Sie konnte nicht spontan reagieren, sie wusste
auf einmal nicht – oder nicht mehr –, was sie sagen sollte.
»Alex, ich
… jetzt musst du mit mir Geduld haben«, begann sie stockend. »Gib mir etwas
Zeit. Bevor du abreist, gebe ich dir meine Antwort. Ich kann dir jetzt nicht antworten,
hier nicht. Ich glaube, es ist nicht der richtige Moment dafür.«
Es war eine
Ausrede. Was hatte sie denn erwartet? Alex konnte so charmant und eloquent sein
mit den italienischen Freunden und Freundinnen. Weshalb sagte er nun kein Wort von
Liebe? Oder hatte er insgeheim Angst, sie könnte seinen Heiratsantrag – wenn es
denn wirklich ein ernst gemeinter war – annehmen? Wollte er sie hier an diesem unmöglichen
Ort mitten im Bachbett davon abhalten, Ja zu sagen? Gut möglich, dass er einfach
ungeschickt vorging wie wohl die meisten Männer, wenn es um die entscheidende
Frage ging.
Es wäre
besser gewesen, wenn er gewartet hätte, bis sie irgendwo
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