Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
echt
italienischem Überschwang.
»Wo kommt
ihr denn her?«, fragte Ada erstaunt. »Wir sind alle erschöpft und ich habe einen
schlimmen Muskelkater vom Tennisspielen. Keine zehn Pferde brächten mich heute auf
einen Gipfel. Und ihr kommt schon wieder von einer Tour zurück? Alex, du bist und
bleibst ein Fanatiker. Du könntest deiner Schweizer Freundin zumindest einen Ruhetag
gönnen, es gäbe noch viel in Südtirol zu sehen außer den Bergen.«
Eva hatte den mühsamen Aufstieg
und ihre Müdigkeit bereits vergessen. Sie trug wie immer die nicht mehr sauberen
Kletterhosen und ein verschwitztes Herrenhemd. Ihr Gesicht war braungebrannt von
der Sonne, die Hände fühlten sich rau an, mit Blasen und Rissen vom Klettern, und
in ihren Augen lag ein Leuchten, das man manchmal von einer Bergtour zurückbringt.
In diesem Moment fühlte sie sich glücklich – nach einem mit Alex verbrachten, harmonischen
Tag, an dem ihre Liebe zu ihm stark wie nie zuvor zu sein schien. Nur sie zwei und
die Berge. Keine Ada, keine italienischen Bekannten, die sich aufdrängten.
Aus Eva wäre nie eine wirkliche
Gipfelstürmerin geworden, ihr alpinistischer Ehrgeiz hielt sich in Grenzen. Lange
vor ihr gab es Frauen, die das Bergsteigen als »Schule der Emanzipation« betrachteten
und schon früh alles taten, in diese, lange den Männern vorbehaltene, Domäne einzudringen
und sich dort zu behaupten. 1918 wurde von einigen Freundinnen, »für die Schönheit
unserer Heimat-Berge begeisterten Damen«, in Montreux der erste Schweizer Frauen-Alpenclub
gegründet, und bald gab es in den größeren Schweizer Städten weitere Sektionen.
Doch warf man den Alpinistinnen lange vor, sie kletterten nur aus Eitelkeit und
Ruhmsucht. Allerdings gab es schon von den Anfängen des modernen Alpinismus an Frauen,
die schwierige Touren unternahmen und bekannte Gipfel bestiegen, nur wurden ihre
Leistungen an den Rand gedrängt oder verschwiegen.
1920 hielt
sich Emil Nikolaus von Reznicek, Komponist der noch heute oft im Radio gespielten
»Donna Diana«-Ouvertüre, in Sils-Maria auf. Mit seiner Frau und seiner Tochter,
die er mit auf Bergtouren nahm. Reznicek, der seine Vornamen abkürzte zu E.N., geboren
1860, gestorben 1945 an Hungertyphus, ein Mensch zwischen zwei Welten, der zugleich
dem 19. Jahrhundert mit Wagner, Verdi und Brahms angehörte, wie auch dem 20. mit
den Zwölftönern, lebte zwar in Deutschland, war jedoch ein gebürtiger Wiener. Heute
ist er praktisch vergessen – abgesehen von seinem Paradestück, der »Donna Diana«-Ouvertüre,
die ihn weltberühmt machte und nach wie vor zu den meistgespielten E-Musikstücken
gehört. Auch in der Entomologie, der Schmetterlingskunde, hat man ihn verewigt für
seine Entdeckung einer Bläulingsvariante, nach ihm »variatio rezniceki« benannt.
Er besaß eine Schmetterlingssammlung von über 10.000 Exemplaren, jedes selber gefangen,
gespannt, präpariert und gepflegt. Sein Leben voller dramatischer Schicksalsschläge
ergäbe einen spannenden Roman. Es geht hier jedoch nicht um ihn, sondern um seine
Tochter Felicitas, geboren 1904 in Berlin, die ihrem Vater ein Vierteljahrhundert
als Geschäftsführerin und Reisebegleiterin zur Seite stand und ihn »durch sämtliche
Stromschnellen zu schleusen« versuchte. Sie war Journalistin und Schriftstellerin
und schrieb eine Biographie über Leben und Werk ihres Vaters unter dem Titel »Gegen
den Strom«.
E.N. von
Reznicek war ein begeisterter Bergsteiger. Auf der Hochzeitsreise unternahm er heimlich
eine Hochtour und bestieg den Mont Blanc, ohne seiner (nicht schwindelfreien) Angetrauten
etwas davon zu sagen – und war höchst erstaunt, als er von ihr fassungslos vor Angst
empfangen wurde, nachdem er eine Nacht in einer Alphütte verbracht hatte. Die Leidenschaft
für die Berge übertrug sich schon früh auf seine Tochter, die später ein Buch über
die berühmtesten Alpinistinnen der Welt verfasste [2] .
Nach dem
Zweiten Weltkrieg ließ sie sich in der Schweiz nieder, in Engelberg, verkehrte in
der Bergsteigerszene und gründete ein jährlich stattfindendes internationales Bergsteigerinnentreffen,
das »Rendez-vous Hautes Montagnes«. Allerdings sah sie sich selber nicht als eine
wichtige Alpinistin, sondern als »Feld-, Wald- und Wiesenbergsteigerin«.
1937 veröffentlichte
Felicitas von Reznicek einen – damals sicher neuartigen, geradezu kühnen – Bergsteigerroman
mit dem Titel »Michael gewidmet«. Später erschienen weitere Bücher von der
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