Tödliche Täuschung
während die Narbe und die Schwellungen seltsam starr blieben. Merkwürdigerweise machte gerade diese Starre seine Angst umso offensichtlicher.
»Ich sage ihr, dass dein Gesundheitszustand es nicht zulässt« , erklärte Perdita hastig.
»Nein…«
»Sie wird es verstehen!« Sie rührte sich nicht von der Stelle.
Sie glaubte zu wissen, was sie tun musste, um ihn zu schützen, und doch fiel ihr selbst diese Entscheidung schwer. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um zu einem Entschluss zu gelangen, und sah ihn Bestätigung heischend an. »Vielleicht… später… in ein paar Wochen.«
»Nein. Nein, ich werde heute mit ihr sprechen.« Auch er musste all seine Kraft zusammennehmen.
Monk fragte sich, wer Hanning gewesen sein mochte und warum seine Witwe so bald bei Sheldon vorsprach. Geschah es aus Pflichtgefühl oder aus Mitleid, oder waren es persönliche Gründe?
»Ich werde Miss Latterly fragen.« Perdita drehte sich um und eilte davon. Sie hatte eine Lösung gefunden. Wenn etwas außer Kontrolle geriet, würde Hester da sein, um die Dinge in die Hand zu nehmen.
Bei der Erwähnung von Hesters Name n hatte Gabriel sich ein wenig entspannt. Auch er verließ sich auf sie.
Ein jähes Gefühl der Ungeduld stieg in Monk auf. Diese Menschen waren Erwachsene, keine Kinder, die fremde Hilfe benötigten, um mit schwierigen Situationen fertig zu werden. Aber dann musste er an die Erschöpfung in Gabriels Gesicht denken. Er brauchte alle Kräfte, um gegen die körperlichen Schmerzen und die schrecklichen Erinnerungen anzukämpfen. Mit seiner jungen, unerfahrenen Frau konnte er diese Erfahrungen nicht teilen. Für sie war Indien ein schwarzer Fleck auf der Landkarte, ein Wort ohne Bedeutung.
Und es war nicht Perditas Schuld, dass sie verwirrt und verängstigt war. Sie war beschützt aufgewachsen und hatte sich ihr Leben nicht selbst ausgesucht. Es war die Rolle, die man ihr zugewiesen hatte, und nur wenige Frauen wie zum Beispiel Hester schafften es, sich daraus zu befreien.
»Möchten Sie die Dame lieber allein empfangen?«, fragte Monk. Er stand nicht auf, sah Gabriel aber offen ins Gesicht.
Als hätte er zumindest einen Teil seiner Gedanken erraten , erwiderte Gabriel sein Lächeln.
»Ich habe Hanning ziemlich gut gekannt, aber seiner Frau bin ich noch nie begegnet. Er hat manchmal von ihr gesprochen, allerdings habe ich daraus entnommen, dass sie… ein wenig schwierig ist. Sie haben sich ziemlich oft gestritten. Ich weiß wirklich nicht, was ich ihr sagen soll. Vielleicht ist es eine Art Arroganz, die mich dazu verleitet, mich dieser Prüfung zu stellen. Ich möchte mir selbst beweisen, dass ich es schaffen kann.« Er zuckte die Achseln. »Und ich baue darauf, dass Hester die Scherben aufsammelt, wenn ich es nicht kann… für mich und für Perdita. Ich spüre, dass Hester Ihnen viel bedeutet.« Er ignorierte Monks plötzliches Unbehagen. »Es wäre nett von Ihnen, wenn Sie bleiben würden - selbst wenn das eine Zumutung sein sollte…«
Waren seine Gefühle für Hester so offensichtlich? Es war Freundschaft, was er empfand, keine romantische Liebe. Hatte Gabriel das begriffen? Vielleicht sollte er es ihm erklären. Aber welche Worte konnte er wählen, um keinen falschen Eindruck zu erwecken?
»Natürlich«, stimmte er zu und ließ sich entspannt auf dem Stuhl zurücksinken. »Wir sind seit einiger Zeit befreundet, seit mehreren Jahren, um genau zu sein.«
Gabriel lächelte, und seine Augen weiteten sich ein wenig. Zum Teufel, an der Sache war nichts Komisches! »Sie hat einiges Talent bei der Einschätzung von Menschen, und sie war mir bei verschiedenen Fällen überaus nützlich«, fügte er hinzu.
»Sie ist eine wirklich bemerkenswerte Frau«, erwiderte Gabriel. »Es fällt mir leichter, mit ihr zu reden als mit irgendjemandem sonst, selbst mit anderen Männern, die das Gleiche erlebt haben wie ich.«
»Tatsächlich?« Monk war beeindruckt. Dabei hatte Gabriel sie doch gerade erst kennen gelernt! Wie konnte er seine Freundschaft mit Hester, seine Abhängigkeit von ihr im selben Atemzug erwähnen wie Monks Beziehung zu ihr? Er wollte gerade etwas über ihre pflegerischen Fähigkeiten sagen, als ihm eine unglaubliche Selbsterkenntnis das Blut in die Wangen trieb: Er war eifersüchtig!
Er fuhr erschrocken herum, als er ein Geräusch von der Tür her hörte. Hester war eingetreten. Sie trug dasselbe blaugraue Kleid, das sie für gewöhnlich im Dienst anhatte.
Sie sah Gabriel mit fragender Miene an, sagte aber
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