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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Lektüre eines Buches über Philosophie, mit der er ganz und gar nicht übereinstimmte. Aber die Argumente des Philosophen stellten seinen Geist auf die Probe, was ihm beträchtliches Vergnügen bereit ete. Es erfreute ihn immer wieder, auf solche abstrakte Weise herausgefordert zu werden.
    Als Oliver eintrat, sah er sofort, dass etwas nicht stimmte. Es brauchte dazu keinen besonderen Scharfsinn, da Rathbone seinen Hut bei Laurence vergessen hatte und seine Handschuhe noch immer in den Manteltaschen steckten, sodass seine Hände vor Kälte gerötet waren.
    Henry hatte den Fall natürlich verfolgt und wusste auch von dessen tragischem Ende. Er stand auf und sah Oliver ernst und ohne die Pfeife aus der Hand zu legen an.
    »Ist etwas passiert?«, fragte er.
    Oliver fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, eine Geste; die absolut untypisch für ihn war. Er hasste es, unordentlich auszusehen.
    »Eigentlich nicht, zumindest nichts, was mit dem Fall Melville zu tun hätte«, antwortete er, zog seinen Mantel aus und reichte ihn dem Lakaien, der hinter ihm stand. »Ich war heute Abend auf einer Gesellschaft und habe die Fassung verloren.«
    »Ziemlich gründlich, vermute ich.« Henry nickte dem Diener zu, der daraufhin verschwand und die Tür lautlos hinter sich zuzog. »Du siehst ganz durchgefroren aus. Möchtest du ein Glas Portwein?«
    »Nein!«, antwortete er heftig. »Ich meine, nein danke. Beim Port habe ich ihnen nämlich gesagt, sie seien scheinheilig und bigott und verantwortlich für die Vernichtung eines Genies wie Melville.« Er setzte sich in den Sessel seinem Vater gegenüber und wartete auf dessen Reaktion.
    »Unklug«, antwortete Henry, der seinerseits wieder Platz nahm. »Was machst du jetzt? Darüber nachdenken, wie du dich entschuldigen sollst?«
    »Nein!« Die Antwort kam ohne Zögern.
    »Kann man sie dafür verantwortlich machen?«
    Oliver beruhigte sich ein wenig. »Sie und Menschen ihrer Art, ja.«
    »Ziemlich viele Menschen…« Henry sah ihn sehr ruhig an. Olivers Zorn hatte sich verflüchtigt, und es war nicht viel übrig als Traurigkeit und die wachsende Einsicht in seine eigene Schuld.
    »Du bist nicht verantwortlich für die Ansichten der Gesellschaft«, sagte Henry und klopfte seine Pfeife aus, obwohl sich kein Tabak darin befand.
    »Nein, aber ich war für Melville verantwortlich!«, antwortete Oliver. »Ich war auf sehr persönliche und direkte Weise für sie verantwortlich. Wenn sie geglaubt hätte, mir vertrauen zu können, dann hätte sie mir die Wahrheit gesagt. Wir hätten zumindest Zillah Lambert einweihen können, und sie hätte wahrscheinlich geschwiegen. Dann wäre es nie zur Verhandlung gekommen, und Melville würde noch leben… und wahrscheinlich sogar ihren Beruf ausüben.«
    »Vielleicht«, stimmte Henry ihm zu. »Ist es das, was dich quält?«
    »Ja, ich glaube schon.«
    »Hast du sie denn nicht gefragt, sie gedrängt, dir die Wahrheit zu sagen?«
    »Natürlich habe ich das! Aber sie hat mir offensichtlich nicht vertraut!«
    »Aber einmal von dir abgesehen, was hat sie denn daran gehindert, Zillah Lambert einzuweihen?«
    »Nun… nichts wahrscheinlich.«
    »Nichts als Jahre der Zurückweisung«, sagte Henry. »Jahre des Lügens und Vertuschens. Du kannst nicht alles wissen, was in der Vergangenheit passiert ist und sie zu dem machte, was sie war.« Er griff nach seinem Tabak, zerbröselte einige Krümel zwischen Zeigefinger und Daumen und stopfte sie in seine Pfeife. »Vielleicht war es phantasielos von dir, dass du es nicht erraten hast, vielleicht auch nicht. So oder so, es gibt jetzt nichts mehr, was du tun kannst, außer dich mit Schuldgefü hlen herumzuschlagen. Damit ist niemandem gedient. Es ist auch eine Art, sich gehen lassen… und vielleicht brauchst du ein wenig davon, aber lass nicht zu, dass es zu lange dauert. Es wird leicht zur Gewohnheit - und zu einer bequemen Ausrede.«
    »Mein Gott, bist du hart mit mir!«, sagte Oliver und warf seinem Vater einen wütenden Blick zu.
    Henry riss ein Streichholz an und entzündete damit seine Pfeife. Sie ging sofort wieder aus.
    »Möchtest du deinen Beruf aufgeben?«
    »Nein, natürlich nicht. Und ich hätte gern ein Glas Sherry. Ich bin nämlich aufgebrochen, bevor ich einen ordentlichen Schluck von dem Portwein genommen hatte.«
    »Er steht hinter dir.« Henry unternahm einen weiteren Versuch, seine Pfeife anzuzünden.
    Am folgenden Tag befand sich Rathbone kurz vor Mittag in seinem Büro in der Vere Street, als sein Schreiber

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