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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Freund!« Lofthouse wollte sich nicht zum Schweigen bringen lassen. Der Portwein stand direkt neben ihm und war ausnehmend erlesen. »Die ganze Geschichte hat etwas Absurdes, das müssen Sie doch zugeben. Wenn ein genialer Mann wie Rathbone so gründ lich auf die Nase fällt, muss es uns geringeren Sterblichen doch wenigstens gestattet sein, einmal herzlich darüber zu lachen. Und wenn er nicht Manns genug ist, das über sich ergehen zu lassen, dann sollte er sich besser gar nicht erst auf ein Scharmützel einlassen!«
    Laurence öffnete den Mund, um zu protestieren, aber Rathbone beugte sich über den Tisch und kam ihm zuvor.
    »Sie können mich ruhig verhöhnen! Ich bin durchaus zufrieden damit, die Arena zu betreten und mein Bestes zu geben, zu gewinnen, zu verlieren oder ein Patt zu akzeptieren. Wenn meine Niederlagen Sie erheitern, dann bitte sehr!« Er ignorierte das Geräusch, mit dem mehrere Männer am Tisch die Luft einsogen, und achtete nicht auf die erstaunten Mienen seiner Nachbarn. »Aber ich nehme Anstoß daran, wenn Sie öffentlich über den Tod einer jungen Frau spotten, deren einziges Vergehen unseres Wissens nach darin bestand, dass man ihr die Gelegenheit verwehrte, zu studieren oder ihre Kunst auszuüben, solange die Welt wusste, dass sie eine Frau war und kein Mann! Sie hat uns hintergangen, weil wir es nicht besser verdient, ja in gewisser Hinsicht sogar herausgefordert haben.«
    Er achtete nicht auf Lofthouse’ wachsenden Ärger oder Colonel Weatheralls Ungläubigkeit und selbst die Verlegenheit seines Gastgebers ließ ihn kalt. »Und anzudeuten, die Gebäude könnten wertlos sein, weil sie von einer Frau und nicht von einem Mann entworfen wurden, das ist der Gipfel an Scheinheiligkeit! Sie wissen nicht mehr oder weniger über diese Bauten als noch vor einer Woche, und da waren Sie voll des Lobes. Sie sehen genauso aus, und Ihre Kenntnisse, was den Entwurf, die Konstruktion und das Material betrifft, hat sich gegenüber früher nicht verändert. Gestern waren Sie begeistert, und heute spotten Sie, und nichts hat sich geändert außer Ihre Wahrnehmung der persönlichen Lebensumstände des Architekten.«
    »Rathbone, ich glaube wirklich…«, protestierte Laurence.
    Lofthouse war rot angelaufen. Er stützte sich auf die Tischkante und erhob sich.
    Rathbone erhob sich gleichfalls. »Sie sagen, eine junge Frau könnte solche Dinge nicht tun«, fuhr er fort, und sein Ton war nun noch durchdringender als zuvor, »und deshalb muss das, was sie tut, wertlos sein und alles, was sie getan hat, ebenfalls. Übrigens, sie war fast vierzig.« Seine Stimme troff vor Sarkasmus. »Aber während das Alter einen Mann reifen lässt, macht es eine Frau gewiss dümmer. Ich kann mir nicht einmal von Ihnen vorstellen, dass Sie einem solchen Argument ernsthaft Glauben schenken. Sie sind ein Heuchler, und es sind bigotte Männer wie Sie, die Genies in den Ruin treiben, weil sie das nicht begreifen - und was sie nicht begreifen, wollen sie vernichten.«
    Er war zu weit gegangen, und er wusste es, noch während er sprach. Er hatte zwar jedes Wort ernst gemeint, hätte aber diese Dinge nicht aussprechen dürfen. Er sah in die schockierten Gesichter vor sich. Er hätte sich entschuldigen müssen, zumindest bei Laurence. Vielleicht würde er es morgen tun oder nächste Woche, aber nicht heute. Sein Zorn war zu groß.
    »Sie sind betrunken!«, bezichtigte Lofthouse ihn voller Erstaunen und machte dann die Wirkung seiner Worte völlig zunichte, indem er einen Schluckauf bekam.
    Rathbone bedachte erst ihn mit einem vernichtenden Blick, dann das halb leere Glas an seinem Platz.
    Danach stand er auf und verabschiedete sich mit einer denkbar flüchtigen Verbeugung von Laurence und verließ das Haus.
    Draußen stellte er fest, dass er zitterte. Es waren über anderthalb Meilen bis zu seiner Wohnung, aber er machte sich zu Fuß auf den Weg, ohne auch nur darüber nachzudenken. Er ging rasch, ohne auf die anderen Fußgänger oder Kutschen zu achten. Erst als er den Piccadilly überquerte, kam ihm zu Bewusstsein, dass er im Grunde gar nicht nach Hause wollte. Er wollte den Rest des Abends nicht mit seinen Gedanken allein sein.
    Er blieb jäh am Straßenrand stehen und hielt die nächste Droschke an, um nach Primrose Hill zu fahren.
    Als er dort ankam, saß Henry Rathbone am Feuer; er hatte die Pantoffeln abgestreift, streckte die Füße in die Wärme seines Kamins und sog ge istesabwesend an einer leeren Pfeife, ganz versunken in die

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