Tödliche Täuschung
miteinander irgendwelche Spiele spielten. Für eine Weile hatten sie sogar ein Hündchen gehabt. Die Frau wusste nicht, was aus dem Tier geworden war.
»Wohin sind sie von hier aus gegangen?«, fragte Monk und fürchtete, dies könne das Ende seiner Nachforschungen sein.
Eine Frau zuckte mit den Schultern und spuckte auf den Boden.
Eine zweite lachte ihn aus.
Die dritte fluchte und erwähnte dann den Namen eines Hurenhauses in Devil’s Acre, dem von Menschen wimmelnden Elendsviertel, das nahe der St.-Pauls-Kathedrale lag.
Das war alles, was er aus ihnen herausbekam. Also stand er auf und ging wieder.
Zwei Tage lang bestach und befragte, überlistete und drohte er, und etliche Versuche verliefen im Sande, bevor er die Spur der beiden in ein Bordell hinter einer Schmiede in Devil’s Acre zurückverfolgen konnte. Es war ein schmutziger Bezirk mit überfließenden Abwasserkanälen und zahllosen Abfallhaufen. Ratten huschten zwischen den Rinnsteinen und Menschen hin und her und waren nicht von den Lumpenhaufen zu unterscheiden, die vor den Hauseingängen lagen.
Monk war schon öfter hier gewesen, aber der Anblick machte ihn jedes Mal aufs Neue krank. Er wappnete sich gegen eine Kälte, die durch Mark und Bein ging. Sein Magen verkrampfte sich, und er zitterte. Es war einerseits der Wind, der durch die Gassen und Ritzen der Mauern pfiff, und andererseits die Feuchtigkeit, die alles durchdrang.
Er kam zu spät. Sie waren hier gewesen, hatten Fußböden geschrubbt, Wasser aus den Hydranten herbeigeschleppt, hatten Abfälle zu den Müllhaufen geschafft und die leeren Eimer zurückgetragen. Sie waren erst einen Tag zuvor weggegangen.
Weggegangen…! Wohin? Warum?
Eine Antwort drängte sich ihm sofort auf: weil er sie gesucht hatte! Er hatte Fragen gestellt, gedroht. Er hatte sein Interesse nur allzu deutlich gemacht. Jemand hatte es mit der Angst zu tun bekommen, aus welchem Grund auch immer. Bevor er seine Nachforschungen angestellt hatte, waren sie einfach zwei unerwünschte Mädchen gewesen, die man von einem Ort zum anderen scheuchte und nur so lange duldete, wie sie einem von Nutzen waren. Seine Beharrlichkeit hatte sie plötzlich wichtig gemacht. Irgendjemandem war daran gelegen, sie verschwinden zu lassen.
Wohin brachte man Menschen, von denen man nicht wollte , dass sie gefunden wurden? Man tötete sie - wenn man es wagte, wenn man wusste, wo man die Leichen los würde. Der Gedanke raubte ihm schier den Atem. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er packte den Mann an den Aufschlägen seiner Jacke und riss ihn auf die Füße.
»Wenn Sie sie getötet haben, werde ich Sie persönlich dem Henker übergeben! Haben Sie mich verstanden? Wenn Sie mir nicht glauben, dann kümmere ich mich selbst um die Sache. Sie werden einen grässlichen Unfall erleiden! Einen tödlichen!«
»Das ist ungerecht!«, kreischte der Mann und verdrehte die Augen.
»Natürlich ist es das!«, stimmte Monk ihm zu, ohne den Mann loszulassen, so sehr er auch ächzte und stöhnte. »Die Mädchen waren zu zweit - während Sie nur einer sind!« Er bedachte den Mann mit einem bösen Grinsen, als sei ihm plötzlich eine brillante Idee gekommen. »Ich hab’s! Ich knüpfe Sie auf, und wenn Sie dann fast hinüber sind - wenn Ihre Lungen bersten und Ihr Gesicht blau ist und Sie das Gefühl haben zu verbrennen, dann hol’ ich Sie runter, kippe Ihnen einen Eimer Wasser über den Kop f, gebe Ihnen ein Glas Brandy und warte, bis Sie wieder zu sich kommen… und dann mach’ ich es noch einmal! Einmal für jedes Mädchen. Ist das gerechter?«
»Ich hab’ nichts getan!« Der Mann machte sich vor Angst fast in die Hosen. »Es geht ihnen gut! Sie leben und sind in Ordnung, ich schwör’s, ich schwör’s bei Gott!«
»Schwören Sie nicht: Beweisen Sie’s mir!«
»Sie sind nicht hier! Ich hab’ sie verkauft… sozusagen weitergereicht, ihnen die Chance gegeben, sich zu verbessern.
Damit sie aus London rauskamen und irgendwohin konnten, wo es für ihre Gesundheit besser ist!«
»Wohin genau haben Sie sie verkauft?«, fuhr Monk ihn drohend an.
»Nach Osten! Nach Übersee! Ehrlich, ich schwör’s bei Gott!«
Monk packte ihn abermals und schüttelte ihn grob. »Wohin?«
»Frankreich! Sie sind nach Frankreich!«
Monk wusste, was der Mann meinte. Von Frankreich aus würde man sie weiß Gott wohin verschiffen: Mädchenhandel.
»Wann?« Er schleuderte den Mann gegen die Mauer. »Wann sind sie weggegangen?«
»Gestern! Sie sind zum Hafen runter…
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