Tödliche Täuschung
Nebelhörner wehte die Themse hinauf, als Monk in der Rotherhithe Street direkt am Flussufer aus einem öffentlichen Gefährt stieg. Er konnte es sich nicht leisten, bei einem Auftrag wie diesem eine Droschke zu nehmen.
Es war ein grauer Tag im späten Frühling, und das Wasser schwappte nur wenige Meter von ihm entfernt gegen das Ufer.
In der Luft hing der scharfe Geruch von Salz, Fisch und Teer. Er war der Küste hier viele Meilen näher als in Putney, - der Pool of London lag vor ihm und auf der gegenüberliegenden Seite Wapping. Zu seiner Linken konnte er im Nebel gerade noch die Umrisse des Tower ausmachen, die sich grau und weiß gen Himmel erhoben. Dahinter lag Whitechapel und vor ihm Mile End.
Der Pool selbst schimmerte silbern im Licht zwischen den Schiffen, die hereinkamen oder aus dem Hafen fuhren, beladen mit Frachtgütern aus aller Welt. In diesem Hafen konnte man alle Waren finden, die sich auf ein Schiff verladen ließen. Ein Klipper aus dem chinesischen Meer, wahrscheinlich mit Tee beladen, schaukelte sanft in der Dünung. Eine Schar Möwen segelte schreiend im Wind. Lastkähne mühten sich stromaufwärts. Auf ihren Decks stapelten sich Ballen und Kisten, die festgezurrt und mit Leinwand bedeckt waren.
Flussabwärts auf der anderen Seite lagen die Surrey Docks, Limehouse und dahinter die Isle of Dogs. Erinnerungen an diese Bezirke Londons wurden in ihm wach und an das Krankenhaus, in dem Hester und Callandra während der Typhusepidemie gearbeitet hatten. Er würde niemals diesen Geruch vergessen, diese Mischung aus Abwässern, Schweiß, Essig und Kalk. Er war damals ganz krank vor Angst um Hester gewesen, Angst, dass sie sich anstecken könnte und dann zu geschwächt wäre, um gegen die Krankheit anzukämpfen!
Selbst jetzt noch, während er hier stand und der kühle Wind vom Wasser über sein Gesicht strich, brach ihm bei der Erinnerung der Schweiß aus.
Er wandte sich ab und richtete seine Gedanken wieder auf die Gegenwart. Er musste ein Lokal finden, das ›irgendwas mit Elefant ‹ hieß.
Schließlich sprach er einen Arbeiter an, der eine Schubkarre über das Pflaster schob. »Irgendwas mit Elefant?« Der Mann sah ihn verwirrt an. »Nie gehört. Hier in der Gegend?«
»Rotherhithe«, antwortete Monk, den bei dem Gedanken, dass der Mann es vielleicht nicht wusste, Mutlosigkeit überkam. So groß war Rotherhithe auch wieder nicht. Ein solcher Mann kannte gewiss alle Wirtshäuser am Flussufer, wenn nicht persönlich, so doch dem Hörensagen nach.
Ein paar Schauerleute kamen vorüber.
»Sind Sie sich da ganz sicher?« Der Mann sah Monk skeptisch an und musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Wo sind Sie denn her? Wohl nicht aus der Gegend, wie?«
»Nein. Ich komme von der anderen Seite des Flusses.«
»Aha.« Er nickte, als erkläre das alles. »Nun, ich kenne hier in der Gegend bloß das Red Bull in der Paradise Street und das Crown and Anchor in der Elephant Lane - das liegt gleich über der Elephant Stair… die Sie da oben hinter der Princes’ Stair sehen können. Wenn Sie was ganz in der Nähe suchen, dann kämen wohl am ehesten die zwei in Frage.«
»Elephant Stair?« wiederholte Monk mit neu erwachter Hoffnung. »Ich danke Ihnen. Ich werd’s im Crown and Anchor versuchen.« Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging zielstrebig am Flussufer entlang zur Elephant Stair, wo die flachen Steinstufen zu dem ans Ufer leckenden Wasser hinunterführten. Er wandte sich nach rechts und ging die Elephant Lane hinauf.
Kurze Zeit später trat er in den überfüllten Schankraum des Crown and Anchor, gab eine Bestellung auf und aß eine sehr schmackhafte Pastete. Er weigerte sich aber darüber nachzudenken, woraus die Füllung bestehen mochte. Zum Abschluss des Mahls wählte er eine Siruptorte und ein Glas Starkbier, dann begann er mit seinen Nachforschungen.
Er war froh, dass er zuerst gegessen hatte, denn mit vollem Magen ließ sich die Geschichte, die er zu hören bekam, besser verdauen. Es schien, als hätte der Wirt dem niedrigen Preis für die Mädchen größere Aufmerksamkeit geschenkt als der Ware selbst. Sie mussten vom Morgengrauen bis spätnachts, wenn das Lokal schloss, in den Spülküchen Gläser und Teller abwaschen und die Böden schrubben. Sie hatten gegessen, was sie finden konnten und auf dem Küchenboden geschlafen, zusammengerollt in einem Stapel von Säcken am Herd wie Katzen oder Hunde.
Sie waren durchaus willig gewesen, aber sehr langsam, behindert dadurch, dass sie
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