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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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teilweise taub, kleinwüchsig und ständig krank waren. Nach einigen Monaten war er zu dem Schluss gekommen, dass er mit den beiden ein schlechtes Geschäft gemacht hatte und sie ihn mehr kosteten, als sie wert waren. Man hatte ihm angeboten, sie an eine Kneipe in St. Giles zu verkaufen, und er hatte die Chance genutzt. Durch diesen Handel trug seine Investition ihm zumindest ein paar Schillinge ein.
    Wo lag das Lokal?
    Der Wirt hatte keine Ahnung.
    Würde ein wenig Geld seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen?
    Möglicherweise. Wie viel Geld? Eine Guinee?
    Nicht genug.
    Zorn wallte in Monk auf. Er hätte dem Mann am liebsten das habgierige Lächeln aus dem Gesicht geprügelt und ihn für ein paar Minuten das Elend und die Angst spüren lassen, die diese Kinder erfahren haben mussten.
    »Es gibt zwei Möglichkeiten, jemanden zum Reden zu bringen«, sagte er sehr leise, »indem man ihm eine Belohnung in Aussicht stellt…« Er führte den Satz nicht zu Ende.
    Der Mann sah in Monks Gesicht, in seine Augen. Er war etwas begriffsstutzig. Er dachte immer noch darüber nach, wie viel Geld er wohl aus ihm herauspressen konnte.
    »… oder indem man ihm androht, dass ihm etwas außerordentlich Unangenehmes zustoßen könnte«, beendete Monk den Satz. Seine Stimme war noch immer höflich, noch immer sanft, aber es lag nun eine deutliche Drohung darin.
    »Ach ja?«, fragte der Mann großspurig. »Haben Sie denn so etwas im Sinn, ja?«
    »Etwas sehr Unangenehmes«, stieß Monk zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er wusste, womit er ihm Angst machen konnte, er kannte sämtliche Einzelheiten. Monk hatte geholfen, die Leiche aus dem Fluss zu ziehen, bevor er sich mit seinem Vorgesetzten zerstritten und die Polizei verlassen hatte. »Erinnern Sie sich an Big Jake Hillyard?«
    Der Mann versteifte sich und schluckte heftig.
    Monk lächelte und entblößte dabei die Zähne. »Erinnern Sie sich, was mit ihm passiert ist?«
    »Jeder könnte behaupten, er hätt’s getan!«, protestierte der Mann. »Sie haben den Burschen, der’s gewesen ist, nie geschnappt.«
    »Das weiß ich«, pflichtete Monk ihm bei. »Aber könnte Ihnen denn auch jeder genau sagen, was man mit ihm gemacht hat? Ich kann’s. Wollen Sie’s wissen? Soll ich Ihnen etwas über seine Augen erzählen?«
    »Er hatte keine Augen mehr…. als sie ihn fanden!«, japste der Mann.
    »Das weiß ich!«, fuhr Monk ihn an. »Ich weiß genau, was er hatte… und was er nicht hatte! Wo in St. Giles haben Sie die beiden kleinen Mädchen hingeschickt? Ich frage Sie ganz freundlich, weil ich es gern wüsste. Haben Sie mich verstanden… ganz deutlich verstanden?«
    Das Gesic ht des Mannes war weiß, und kleine Schweißperlen standen auf seiner Oberlippe.
    »Ja! Ja, ich hab’s verstanden. Ich hab sie an Jimmy Struther verkauft in der Coots Alley hinter der Ziegelei.«
    Monk grinste ihn an. »Vielen Dank! Wenn Ihnen Ihr Augenlicht lieb ist, kann ich nur hoffen, dass das die Wahrheit ist.«
    »Das ist es! Das ist es!«
    Nach dem Gesichtsausdruck des Mannes zu schließen hatte Monk keine Zweifel daran , dass es tatsächlich stimmte. Ohne einen Gruß drehte er sich um und verließ das Lokal.
    St. Giles war, wie sich herausstellte, nur eine weitere Station auf dem Weg der Mädchen. Der Frau zufolge, die er dort befragte, waren sie mehrere Jahre dort geblieben, ihrer Erinnerung nach mindestens sieben oder acht. Die meisten der Kunden waren zu betrunken oder zu verzweifelt, um sich darum zu scheren, wie ein Dienstmädchen aussah, und die Arbeit war simpel und monoton. Es wurde nur wenig von ihnen verlangt, aber dafür bekamen sie auch wenig zurück. Alles, was sie je an Zuneigung erfuhren, erhielten sie voneinander. Und anscheinend zögerte keins der beiden Mädchen, dem anderen zu Hilfe zu eilen, selbst wenn es eine Tracht Prügel riskierte. Der Älteren hatte man einmal bei einer Schlägerei die Nase und zwei Rippen gebrochen, als sie versuchte, ihre jüngere Schwester vor der Wut eines Matrosen zu schützen.
    Die Geschichten, die Monk hörte, vermittelten ihm das Bild zweier Mädchen, die ohne jegliche Unterweisung oder Hilfe aufwuchsen, die das wenige, das sie wussten, durch Erfahrung gelernt hatten; die wegen ihrer verwachsenen Lippen nur mühsam sprechen konnten, und weil sie obendrein halb taub waren, und wegen ihrer Missbildungen verhöhnt, bisweilen auch gefürchtet wurden.
    Eine Frau sagte, sie habe sie lachen hören, und bei einigen Gelegenheiten gesehen, wie sie

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