Tödliche Täuschung
wie man ihre Nichten behandelt hatte, wann und wo und aus welchem Grund sie gestorben waren?
Er packte eine kleine Reisetasche mit Kleidern zum Wechseln und zahlte eine Wochenmiete im Voraus, dann verließ er die Fitzroy Street in Richtung Südwesten. Er hatte seine gewohnte modisch geschnittene Jacke und die elegante Hose abgelegt. An den Orten, die er aufsuchen wollte, würden sie ihn als Fremden ausweisen, als potenzielles Opfer von Taschendieben und möglicherweise Schlimmeres. Er hasste das Gefühl, nicht richtig rasiert zu sein, aber auf diese Weise würde er weniger auffallen in der Umgebung, die schon sehr nah an die Welt des Verbrechens grenzte. Er wollte wie ein Mann wirken, dem man besser nicht in die Quere kam. Außerdem bewaffnete er sich mit einem kleinen, scharfen Messer und steckte so viel Geld ein, wie er für Essen und Unterkunft und - wenn nötig - für Bestechungen erübrigen konnte.
Der Anfang würde am schwierigsten sein. Während er mit einem öffentlichen Verkehrsmittel am Flussufer entlang und dann über die Putney Bridge fuhr, zerbrach er sich den Kopf, wie er vorgehen wollte. Die einzige Person, die etwas wissen konnte, war der Gastwirt, der sie fortgegeben oder verkauft hatte. Er konnte nur zum Himmel beten, dass der Mann noch lebte!
Er brauchte den ganzen Vormittag, um ihn aufzuspüren. Die Information hatte ihn eine Menge Bier und Cider gekostet.
Mr. Reilly erwies sich als ein bulliger Mann mit struppigem weißem Haar, das ihm ungepflegt ins Gesicht hing. Aber das spielte keine Rolle, da er anscheinend völlig blind war. Er saß auf einem ramponierten Stuhl neben dem Kamin, einen Becher Bier direkt neben sich, und hieß Monk fröhlich willkommen. Ein kleiner, schwarzweißer Hund lag zu seinen Füßen und beäugte Monk argwöhnisch.
„Also, was wollen Sie denn nun wissen?«, fragte Reilly vorsic htig. Er schien sehr einsam zu sein, und Gesellschaft war kostbar.
Genau darauf spekulierte Monk. »Ein paar Geschichten über das Cooper’s Arms, als es noch Ihnen gehörte«, erwiderte er und ließ sich dann in den wackligen Stuhl gegenüber sinken. »Wie war das denn damals so?«
Reilly ließ sich kein zweites Mal bitten. Er stürzte sich kopfüber ins Erzählen, und es waren fast drei Stunden vergangen, bevor Monk das Gespräch sachte auf die beiden Küchenmädchen lenken konnte, die er an einen Mann aus Rotherhithe ve rkauft hatte. Dieser Mann besaß ein großes Lokal unten am Fluss und brauchte Hilfe für die groben Arbeiten, bei denen man die beiden nicht sehen würde und niemand an ihrem verunstalteten Aussehen Anstoß nehmen konnte.
»Hässliche kleine Bälger, die beiden«, sagte er und starrte Monk blicklos an. »Und furchtbar langsam im Kopf. Man konnte ihnen ein halbes dutzend Mal sagen, dass sie etwas tun sollten, und sie haben’s immer noch nicht begriffen.«
»Taub«, rutschte es Monk heraus. Er wusste ja angeblich nichts über die Mädchen, interessierte sich überhaupt nicht für sie.
»Was?« Reilly runzelte die Stirn und nahm noch einen ausgiebigen Schluck von seinem Bier.
»Vielleicht waren sie taub?«, sagte Monk und versuchte, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen, was ihm nicht besonders gut gelang.
»Ja, vielleicht.« Reilly war es egal. »Jedenfalls, ich konnte sie nicht behalten. Sie haben mir die Kundschaft vertrieben, und außerdem waren sie verdammt unnütz.«
»Sie haben sie also an einen Mann aus Rotherhithe verkauft. Das war aber klug von Ihnen.« Monk versuchte sich zu einem beifälligen Tonfall zu zwingen. »Was er wohl gedacht hat, als er die beiden schließlich bei sich hatte?«
»Ich hab’ nie was gehört«, antwortete Reilly kichernd. »Er ist nicht wieder zurückgekommen, das ist alles, was ich weiß.«
»Und Sie sind nie hingegangen, um es rauszufinden?« Monk ließ seine Worte nicht wie eine Frage klingen.
»Ich? Nach Rotherhithe? Nie im Leben! Eine ziemlich üble Gegend und auch gefährlich da. Nee! Mir gefällt’s ganz gut in Putney. Hier geht’s hübsch ordentlich zu.« Reilly griff abermals nach seinem Bierkrug, den Monk schon einige Male nachgefüllt hatte. »Was kann ich Ihnen denn sonst noch erzählen?«
Monk hörte ihm noch etwa zehn Minuten zu, dann verabschiedete er sich, nachdem er noch einen letzten Versuch unternommen hatte, ihm den Namen des Lokals in Rotherhithe zu entlocken.
»Irgendwas mit Elefant… aber da wird’s Ihnen nicht gefallen!«, warnte Reilly.
Es war Spätnachmittag, und das klagende Tuten der
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