Tödliche Täuschung
und taub. Die Schwester ihres Vaters ist eine Bekannte von mir. Sie hat seit Jahren nach ihnen gesucht.« Diese Behauptung war nicht ganz wahrheitsgetreu, aber im Wesentlichen stimmte sie.
»Da haben Sie wohl ‘n bisschen lange gewartet, wie?« Der Kahnführer sah ihn mitfühlend an und schien ihm zu glauben.
»Sie haben die beiden weggeschafft, weil sie wissen, dass ich sie suche«, erklärte Monk. »Es ist meine Schuld!«, fügte er bitter hinzu.
Der Kahnführer dachte kritisch über diese Bemerkung nach.
»Da hätten Sie sich aber besser was Schnelleres gesucht als mich«, sagte er im Brustton der Überzeugung.
»Das weiß ich!« gab Monk zurück. »Aber was anderes habe ich nicht!«
Der Kahnführer grinste, drehte sich um und blickte flussaufwärts. Langsam passierten sie die Brücke und fuhren auf den grau vor dem Himmel aufragenden Tower zu.
Monk war so angespannt, dass er am liebsten geschrien oder mit aller Kraft auf etwas eingeschlagen hätte; ihm schien, als würden sie immer langsamer.
Ein kleines, leichtes Fischerboot kam rasch hinter ihnen näher.
Der Kahnführer schob zwei Finger zwischen die Lippen und stieß einen durchdringenden Pfiff aus.
Ein Mann auf dem Fischerboot legte den Kopf schief.
Der Kahnführer pfiff abermals und gab mit wild rudernden Armen Signale.
Das Fischerboot änderte den Kurs, um sich dem Kahn zu nähern.
»Also los!«, rief der Kahnführer Monk zu. »Sagen Sie denen, was Sie mir erzählt haben - und viel Glück!«
»Ich danke Ihnen von ganzem Herzen!«, sagte Monk, bevor er zu einem tollkühnen Sprung in Richtung Fischerboot ansetzte.
Es war weiter, als er gedacht hatte, und wieder schaffte er es nur knapp. Starke Hände und schallendes Gelächter empfingen ihn. Er berichtete den Fischern von seiner Notlage, und sie waren mehr als bereit, ihm zu helfen. Sie setzten weitere Segel und kreuzten riskant durch die Strömung und zwischen den Rümpfen anderer Schiffe hindurch. Eine halbe Stunde vor dem Gezeitenwechsel erreichten sie die Surrey Docks.
Sie halfen ihm sogar bei der Suche nach der Summer Rose.
Das Schiff erwies sich als ein schmutziger zweimastiger Schoner, der tief im Wasser lag, aber seetauglich genug war, um bei gutem Wetter den Kanal zu überqueren. Allerdings hätte er nicht darauf gewettet, dass er es durch den Golf von Biskaya schaffte.
Zwei der Fischer, bewaffnet mit Bootshaken und Marlspiekern, begleiteten ihn.
Monk ging voran und stellte sich breitbeinig vor den Kapitän, als man sie an Deck stellte. Er hielt einen Bootshaken quer vor sich.
»Sie haben zwei Mädchen an Bord. Ich will sie haben. Sie wurden illegal weggeschafft. Zehn Guineen Belohnung für Sie , wenn Sie sie herausgeben… und einen Spieker im Leib, wenn Sie es nicht tun.«
Dem Kapitän missfiel die Drohung, aber er warf einen Blick in Monks Gesicht und schätzte die Größe und das Gewicht der Männer hinter ihm ab. Zehn Guineen schienen eine ausreichend große Summe zu sein, um seine Ehre zu retten.
»Ich hol’ sie ja schon, keine Bange. Sie brauchen mich gar nicht so anzusehen. Zehn Guineen sagten Sie?«
»Richtig.«
»Bevor ich segle? Ich laufe mit der Flut aus.«
»Hinterher. Sie kommen ja wieder zurück.«
»Woher soll ich denn wissen, dass Sie wieder zurückkommen , hm?«
»Ich hinterlege das Geld beim Hafenmeister.« Monk hob den Bootshaken ein wenig höher, und hinter ihm machte sich einer der Fischer an seinem Marlspieker zu schaffen.
Der Kapitän zuckte die Achseln. Er hätte ohnehin nicht viel für die Mädchen bekommen; sie waren so hässlich wie die Sünde und noch dümmer als Kühe.
Ein paar Minuten später kam er mit zwei Mädchen zurück, die etwa zwanzig Jahre oder ein wenig älter waren. Sie starrten vor Schmutz, trugen kaum mehr als Lumpen am Leib und hatten offensichtlich große Angst. Beide hatten sie Münder mit verzerrten Lippen, sodass man die Zähne sah und die Gesichter wie Grimassen des Hohns oder des Zorns aussahen. Aber ihre Augen waren groß und klar und sehr ausdrucksvoll, die Augenbrauen geschwungen und der Haaransatz weich und schön geformt.
Monk starrte sie ungläubig an. Er bekam fast keine Luft, und das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er blickte in Gesichter, die wie Karikaturen von Delphine Lambert aussahen.
Sprachlos und außer Stande, einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen, streckte er die Hände aus und ließ den Bootshaken fallen.
»Kommt…«, krächzte er. »Ich bin hier, um euch nach Hause zu bringen… Leda…
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