Tödliche Täuschung
weicher, und in ihren Augen leuchtete Hoffnung auf.
»Aber wenn er nicht will, dass ich von diesen Dingen erfahre , wenn ich sie nicht mit ihm teilen kann, wie soll ich ihm da jemals von Nutzen sein?« Die Schärfe in ihrer Stimme war kaum wahrnehmbar.
Hester dachte sehr gründlich nach. »Warten Sie ein Weilchen«, schlug sie vor. »Gefühle bleiben nicht immer gleich.
Er ist noch nicht lange zu Hause. Sie können die Entscheidungen für morgen erst treffen, wenn das Morgen kommt. Ich weiß, dass es schwer ist. Man möchte sehen, was vor einem liegt… Aber es ist unmöglich.«
Perdita saß eine Weile schweigend da. Schließlich erhob sie sich und strich ihr Kleid glatt. Es schien ihr nicht aufgefallen zu sein, dass ihr langes hellbraunes, leicht gewelltes Haar sich aus den Nadeln gelöst hatte.
»Ich gehe jetzt wohl besser zu Bett, denn ich bin furchtbar müde, aber irgendwie scheine ich in der letzten Zeit nicht mehr schlafen zu können.«
»Möchten Sie, dass ich Ihnen einen Schlaftrunk mache?«, erbot sich Hester, die sich ebenfalls erhoben hatte. »Oder hätten Sie lieber ein Lavendelkissen? Besitzen Sie eins? Das hilft manchmal.«
»Ja, ich glaube, ich habe eins. Es liegt, wenn ich mich nicht irre, in meiner Taschentuchschublade oder bei der Wäsche.« Sie ging zur Tür, ohne Hester anzusehen. »Ich werde Martha fragen. Gute Nacht, Miss Latterly.«
»Gute Nacht, Mrs. Sheldon.«
Perdita ging hinaus, und Hester hörte ihre Schritte in der Halle, denen tiefe Stille folgte. Kurz darauf ging sie ebenfalls hinaus und nach oben in ihr Zimmer. Sie wusch sich hastig in kaltem Wasser und schlüpfte dann ins Bett. Sie war zu müde, um lange wach zu liegen.
Am Morgen erledigte sie ihre gewohnten Pflichten, die der Pflege Gabriels galten; sie wechselte die Wäsche und sorgte für einen frischen Verband und eine saubere Wunde. Der Arzt war am Tag zuvor da gewesen, und es bestand kein Grund, ihn heute wieder zu bemühen.
Sie hielt sich gerade in der Vorratskammer auf, um sich über die verschiedenen Kräuter und Öle im Haus einen Überblick zu verschaffen, als Perditas Zofe hereinkam. Martha Jackson war eine schmale, dunkelhaarige Frau, die in ihrer Jugend recht hübsch gewesen sein musste, jetzt, mit Mitte vierzig, aber ein wenig hager wirkte. Die Spuren, der Entbehrung hatten sich tief in ihr Gesicht eingegraben, aber es lagen weder Bitterkeit noch Selbstmitleid in ihren Zügen. Hester hatte sie von Anfang an gemocht. Irgendeiner Bemerkung hatte sie entnommen, dass Martha Perditas ehemalige Gouvernante war, die um ihrer Versorgung willen später lieber die Stellung als deren Zofe angenommen hatte, als irgendwo anders eine neue, aber wieder nur vorübergehende Gouvernantenstelle anzutreten. So war aus der besser gestellten, beinahe unabhängigen Angestellten eine Dienstbotin geworden - wenn auch eine, der man viel Vertrauen entgegenbrachte.
»Guten Morgen, Miss Latterly«, sagte sie mit gespielter Munterkeit. »Wie geht es Ihnen heute? Ich hoffe, Sie haben sich gut hier eingelebt. Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, würden Sie es mich dann bitte wissen lassen?«
Hester lächelte. »Guten Morgen, Miss Jackson. Ja, ich habe es sehr behaglich, vielen Dank.«
Martha machte sich an die Zubereitung einer Paste, mit der sie matt gewordenes Schildpatt wieder zu neuem Glanz verhelfen wollten. Sorgfältig tröpfelte sie Olivenöl auf einen Teelöffel Polierrot.
»Brauchen Sie irgendetwas Spezielles, Miss Latterly?«, fragte sie ein oder zwei Sekunden später. »Vielleicht fehlt ja irgendetwas, das Sie gerne hätten?« Sie strich die Paste auf einen Kamm und rieb dann mit einem weichen Tuch mit kleinen, kreisenden Bewegungen darüber.
»Ich hätte gern noch mehr Lavendel«, antwortete Hester. »Ich glaube, Mrs. Sheldon hat im Moment Probleme mit dem Schlafen.«
Martha ließ das Tuch weiter über den Kamm kreisen. Sie wandte sich Hester zu.
»Sie hat solche Angst«, sagte sie leise. »Können Sie sie irgendwie trösten? Ich habe mir das Gehirn zermartert, aber ich weiß so wenig über seinen Zustand, und wenn ich ihr die Unwahrheit sage, wird sie mir nie wieder vertrauen. Sie hat sonst niemanden, an den sie sich wenden könnte. Mr. Sheldon ist völlig nutzlos…« Sie hielt abrupt inne. Sie hatte ein Familiengeheimnis preisgegeben, selbst wenn Hester diesen Schluss selbst ziehen konnte. Ganz gleich, was andere wussten oder nicht, sie hatte einen Vertrauensbruch begangen.
Hester sah das Mitleid in Marthas
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