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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Miss Latterly«, pflichtete sie ihr bei.
    »Ich denke, das ist eine sehr gute Idee, vielen Dank für Ihren Rat.« Sie warf ihr einen schnellen, dankbaren Blick zu, und eine Sekunde lang waren die beiden Frauen sich sehr nahe.
    Am Nachmittag saß Hester oben bei Gabriel und las ihm aus einem Gedichtband vor, aus einer der Wirklichkeit unendlich fernen Welt. Es war Keats Epos Endymion, und seine wunderschönen Rhythmen labten die Seele.
    Plötzlich klopfte jemand energisch an der Tür, und noch bevor Gabriel etwas gesagt hatte, wurde die Tür geöffnet, und Athol Sheldon stürmte herein. Er war genauso groß wie Gabriel, aber breiter gebaut, und er pflegte auf den Fußballen zu gehen, als wolle er gleich in einen Laufschritt verfallen. Er besaß eine lange, gerade Nase und einen direkten Blick.
    »Guten Tag, guten Tag«, sagte er munter und sah zuerst Gabriel an, dann Hester. »Ihr kommt gut miteinander aus? Na , bestens.« Er erkundigte sich stets nach dem Wohlergehen anderer, wartete aber nie auf eine Antwort, weil er einfach davon ausging, dass sie ohnehin positiv aus fallen würde. Er selbst besaß eine äußerst robuste Gesundheit und betrachtete diesen Zustand als ein Ideal, das jeder erreichen konnte, wenn auch nicht sofort, dann doch gewiss mit der Zeit und mit der richtigen Einstellung. Es war für ihn eine Frage des Prinzips, dass er sich niemals über irgendetwas beklagte.
    »Hallo, Athol«, erwiderte Gabriel wachsam. In seinem gegenwärtigen Zustand fand er eine solche Tatkraft ermüdend.
    »Wie geht es dir?«, fragte er gewohnheitsmäßig.
    »Sehr gut, sehr gut«, antwortete Atho l und setzte sich auf die Bettkante. »Ich habe Perdita getroffen, bevor ich heraufgekommen bin.« Seine Miene verdüsterte sich. »Sie ist gar nicht guten Mutes, die Arme. Macht sich ein wenig Sorgen, wenn du mich fragst. Ich muss mal sehen, was sich da tun lässt.« Gabriel seufzte lautlos. »Als sie kurz vor dem Mittagessen hier war, schien alles in Ordnung zu sein. Sie sagte, sie wolle am Nachmittag einen Spaziergang machen… etwas später.«
    »Gut«, entgegnete Athol. »Sie sollte wirklich mehr ins Freie gehen. Sie sind gewiss meiner Meinung, Miss Latterly? Nicht genug frische Luft. Ihre Miss Nightingale hat das gesagt - das habe ich irgendwo gelesen.« Er machte ein überaus selbstzufriedenes Gesicht.
    »Ja«, pflichtete Hester ihm widerstrebend bei. Athols mangelndes Einfühlungsvermögen brachte sie jedes Mal aufs Neue in Rage. Er erinnerte sie an Soldaten, die sie getroffen hatte, Männer, die immer überzeugt gewesen waren, dass sie Recht hatten, die ihr unerschütterliches Selbstbewusstsein wie einen Schild vor sich her trugen, Männer, die kaum je einem anderen zuhörten. Nur der Himmel wusste, wie viele Menschen ihretwegen ums Leben gekommen waren.
    Vielleicht tat sie Athol Sheldon Unrecht. Er war kein Soldat. Als ältester Sohn hatte er den Familienbesitz in Buckinghamshire geerbt, den er meist selbst verwaltete - immerhin so gut, dass er seinem verwundeten Bruder finanzielle Unterstützung anbieten konnte.
    »Da hast du es.« Athol rieb sich die Hände. »Die Pflichten einer Ehefrau gehen natürlich immer vor, - aber sie könnte sich doch irgendeine Beschäftigung suchen, die ihre Tage ausfüllt.
    Es gibt ja schließlich jede Menge gute Werke zu tun. Darüber könnte sicher die Pfarrersfrau Auskunft geben. Die brauchen doch immer jüngere Frauen für Wohltätigkeitszwecke. Neue Ideen… Energie.« Er schien sich ein wenig unbehaglich zu fühlen.
    »Ich denke, das wird sie tun«, erwiderte Gabriel, während er sich auf seinen Kissen ein wenig höher hinaufzog.
    »Hier, nimm noch eins«, sagte Athol sofort und hielt ihm ein weiteres Kissen hin.
    »Es geht schon!«, wehrte Gabriel ihn ab, der sich mit seiner einen Hand aufstützte. »Ich kann das allein.«
    »Natürlich. Entschuldigung.« Athol machte einen Rückzieher.
    »Bald wirst du alle möglichen Dinge tun können, und heute in einem Jahr hast du die ganze Sache überstanden.«
    Er schien nicht zu bemerken, wie Gabriels Gesicht einen starren Ausdruck annahm.
    »Die Zeit wird die Erinnerung heilen«, fuhr Athol wohlgemut fort. »Perdita wird dir helfen zu vergessen. Reizendes Mädchen.
    Blick nach vorne, in die Zukunft! Gibt es sonst noch etwas, das ich für dich tun kann? Brauchst du Lesestoff?«
    Gabriel lächelte. »Nein, vielen Dank. Du hast aufs Beste für mich gesorgt.«
    »War mir ein Vergnügen, mein lieber Junge.« Athol erwiderte sein Lächeln und

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