Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
herausfinden, was dein Mandant dir verschweigt«, stellte Henry fest. »Hast du Hester mal von dieser Situation erzählt? Eine weibliche Betrachtungsweise könnte vielleicht neue Perspektiven eröffnen.«
    »Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, gab Oliver zu. Sie war ihm bei vielen Gelegenheiten durch den Kopf gegangen , aber nicht als mögliche Unterstützung in diesem Fall. »Ich habe schon seit Wochen nichts mehr von ihr gehört. Wahrscheinlich betreut sie einen neuen Patienten.«
    »Dann könntest du Lady Callandra Daviot fragen«, erwiderte Henry. »Sie wird wissen, wo Hester sich aufhält.«
    »Callandra ist in Schottland«, sagte Oliver verstockt. »Sie ist auf Reisen. Ich habe einen Brief von ihr bekommen mit Poststempel aus Ballachulish. Ich glaube, das liegt irgendwo an der Westküste, ein kleines Stück von Fort William in Invernesshire entfernt.«
    »Ich weiß, wo Fort William liegt«, erwiderte Henry geduldig.
    »Dann musst du eben Monk fragen. Es sollte ihn doch nicht überbeanspruchen, sie zu finden. Er ist ein hervorragender Ermittler… falls er nicht ohnehin weiß, wo sie sich befindet.« Oliver widerstrebte die Vorstellung, sich an Monk zu wenden , um Hesters Aufenthaltsort zu erfahren. Aber jetzt, da Henry es vorgeschlagen hatte, wurde ihm klar, wie sehr er sich wünschte, mit Hester über diesen Fall zu reden. Er würde den perfekten Vorwand liefern, sich wieder mit ihr in Verbindung zu setzen, ohne dass ihre persönlichen Gefühle die Begegnung überschatten und peinlich machen würden. Bei näherem Nachdenken erschien es ihm als ein Fehler, dass er sie in der dazwischenliegenden Zeit nicht häufiger gesehen hatte. Dann wäre alles viel einfacher gewesen.
    Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als sich ausgerechnet an Monk um Hilfe zu wenden.
    Henry beobachtete ihn versonnen.
    »Ich glaube, das ist eine gute Idee«, räumte Oliver ein.
    »Vielleicht bitte ich ihn am Ende gar, für mich zu arbeiten!« Es war als Witz gemeint. Er konnte unmöglich einen Ermittler gegen seinen eigenen Mandanten einsetzen, obwohl der Gedanke durchaus reizvoll war.
    »Was wird mit ihm geschehen, wenn du verlierst?«, fragte Henry, nachdem einige weitere Augenblicke nachdenklichen Schweigens verstrichen waren.
    »Eine Verurteilung bedeutet eine Geldbuße und den gesellschaftlichen Abstieg«, antwortete Rathbone. »Und in Anbetracht seiner Profession wahrscheinlich auch den beruflichen Ruin.«
    »Ist ihm das klar?«, fragte Henry stirnrunzelnd.
    »Ich habe es ihm gesagt.«
    »Dann musst du die Wahrheit herausfinden, Oliver.« Henry beugte sich mit ernster Miene vor. »Was du mir bisher erzählt hast, ergibt einfach keinen Sinn. Kein Mann würde auf eine so viel versprechende Karriere verzichten. Nicht aus einem solchen Grund.«
    »Ich weiß«, stimmte Oliver ihm zu. Er ließ sich ein wenig tiefe r in seinen weichen Sessel sinken. »Ich werde Monk fragen. Morgen.«
    Monk war verblüfft, als Rathbone am nächsten Morgen um halb acht auf seiner Schwelle stand. Er war in Hemdsärmeln, als er die Tür öffnete, und sein dunkles Haar, das er sich aus der Stirn gestrichen hatte, war noch feucht. Er musterte Rathbones makellose gebügelte Hose und den schlichten Mantel, seinen Zylinder und den zusammengeklappten Schirm.
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, sagte er mit einem Achselzucken, »was Sie in dieser Aufmachung und um diese Stunde an einem Samstagmorgen zu mir führen könnte.«
    »Ich erwarte auch nicht, dass Sie es erraten«, erwiderte Rathbone gereizt. »Wenn Sie mich hereinbitten, werde ich es Ihnen mitteilen.«
    Monk lächelte. Er hatte ruhig blickende graue Augen, hohe Wangenknochen, eine Adlernase und einen breiten, schmallippigen Mund. Es war das Gesicht eines klugen Mannes, der sich selbst und anderen gegenüber unerbittlich war, das Gesicht eines Mannes voller Mut und Humor, der seine Schwächen hinter seinem Scharfsinn verbarg und bisweilen auch hinter geheuchelter Kälte Zuflucht nahm.
    Rathbone war sich all dessen bewusst, und in gewisser Weise bewunderte er Monk, ja, er mochte ihn sogar. Er vertraute ihm uneingeschränkt.
    Monk trat einen Schritt zurück und bat ihn herein. Der Raum , in dem er mögliche Mandanten empfing, wurde bereits von einem lodernden Feuer im Kamin gewärmt, die Vorhänge waren aufgezogen, und auf dem Kaminsims tickte dezent eine Uhr. Das alles hatte sich seit Rathbones letztem Besuch hier geändert. Er fragte sich, ob es Hesters Idee gewesen war, und wies den Gedanken

Weitere Kostenlose Bücher