Tödliche Täuschung
er durch die noch nicht fertig gestellten Galerien schlenderte, spürte Monk, wie er sich nach und nach entspannte. Er schritt durch einen Säulengang in eine weitere Halle, in der die Sonne durch ein gewaltiges Rosettenfenster auf einen hellen Holzfußboden fiel. Die anderen Fenster waren sehr hoch und rund und ließen das Licht in das Deckengewölbe fluten. Unwillkürlich lächelte er. Monk war gern hier, fast als sei er in Gesellschaft eines Menschen, den er mochte.
Was konnte einen Mann, der so etwas zu schaffen vermochte, dazu bringen, einer Frau einen Heiratsantrag zu machen und dann sein Wort zu brechen? War es wirklich so, wie er Rathbone berichtet hatte?
Der Geist, der diese Gebäude geschaffen hatte, war von Klarheit und Sehnsucht erfüllt, von Mut und Willenskraft. Ein solcher Mann konnte unmöglich ein Feigling oder ein Betrüger sein.
Monk hatte unwillkürlich die Fäuste geballt. Er spürte den Wunsch, dies mit aller Macht zu bewahren, den Menschen, dessen Geist sich hier manifestierte, zu schützen. Er hatte andere nie nach dem beurteilt, was sie sagten, sondern nach dem, was sie taten, nach den Entscheidungen, die sie trafen, wenn es schwierig oder gefährlich wurde. Und dieses hoch in den Himmel aufragende Gebäude legte Zeugnis von Killian Melvilles Entscheidungen ab. Er hatte es mit der Absicht betreten, seinen Erbauer nicht zu mögen, sich nicht dafür zu interessieren, was aus ihm werden würde. Jetzt trat er durch die Eingangstür und ging die Treppe hinunter auf den Vorplatz. Der Wind war scharf und kalt. Die Sonne verschwand bereits hinter den Dächern.
Wie konnte er Melville helfen? Was verbarg er, und warum vertraute er es Rathbone nicht an? Schützte er sich selbst oder einen anderen? Das musste er vor Montagmorgen und dem Wiederbeginn der Verhandlungen herausfinden.
Es war schon spät am Sonntagnachmittag. Alle Geschäfte und Firmen, alle Behörden, bei denen er hätte nachfragen können , waren geschlossen. Er würde noch andere Bekannte aufsuchen müssen.
Er blieb einige Augenblicke regungslos auf dem Gehsteig stehen. Einige Fußgänger gingen vorüber, zwei Damen, die miteinander plauderten, während ihre Krinolinen über das Pflaster wirbelten. Eine von vier Pferden gezogene Kutsche fuhr in flottem Tempo vorbei. Jemand rief etwas, und ein junger Mann kam auf die Straße gerannt.
Monk erinnerte sich an den Namen des Mannes, den er über Architekten und Geldangelegenheiten befragen konnte. Er machte kehrt und ging energischen Schritts über den Platz und durch einen Bogengang, der in eine Hauptstraße mündete. Dort fand er einen Hansom und nannte dem Fahrer eine Adresse in der Gower Street.
George Burnham war ein älterer Herr mit einem phänomenalen Gedächtnis und gern bereit, andere daran teilhaben zu lassen und ein wenig damit anzugeben. Er legte Kohlen auf das Feuer und gab den Dienern Anweisung, für sich selbst und Monk das Abendessen zu servieren. Dann scheuchte er eine große und sehr schöne schwarzweiße Katze, die er Florence rief, weg, damit Monk auf dem besten Sessel Platz nehmen konnte.
»Ich kenne alle Architekten, Maler und Bildhauer, die in den letzten vierzig Jahren nach London gekommen sind«, erklärte er selbstbewusst. »Mögen Sie Schweinefleischpastete, mein lieber Monk?«
»Ja, gern«, sagte Monk und setzte sich behutsam auf den Sessel, um sein Jackett nicht zu verknittern, - er gab sich alle Mühe, die Katzenhaare auf dem Polster zu ignorieren.
»Wunderbar!« Mr. Burnham rieb sich die Hände. »Ganz wunderbar. Wir werden Schweinefleischpastete, warmes Gemüse und dazu Mixed Pickles essen. Mrs. Shipton macht die besten Pickles in der ganzen Stadt. Und wie wäre es vorher mit einen kleinen Schlückchen Sherry? Vielleicht einem feinen, lieblichen Amontillado? Gut, gut!« Er zog an der Glocke. »Und nun, mein lieber Junge, was wollen Sie wissen?« Er lächelte aufmunternd.
Monk hatte ihn während eines heiklen Falls kennen gelernt, bei dem eine gewisse Summe Geldes verschwunden war. Die Sache war zu Mr. Burnhams Zufriedenheit ausgegangen. Eine größere Zahl solcher Klienten war von unschätzbarem Wert. Zuerst hatte Monk nur Verachtung gehabt für die kleineren Fälle, die er seiner Talente nicht für würdig hielt und in denen er angesichts seiner beschränkten Finanzen nicht mehr sah als ein notwendiges Übel. Jetzt wurde ihm allmählich bewusst, welch großen Wert Klienten wie Sandeman oder Mr. Burnham für ihn hatten.
»Was halten Sie von Killian
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