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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hatte wenig Verständnis für ein solches Verhalten. Wenn man seine Gelüste befriedigen wollte, gab es dafür genügend Frauen.
    Aber als Monk sich den Mantelkragen fester zuzog und mit gesenktem Kopf gegen den stärker werdenden Regen ankämpfte, wollte es ihm einfach nicht einleuchten, dass ein Mann, der so erhabene Bauwerke schuf, ein Heuchler oder ein Feigling sein sollte, nicht bereit, die Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Konnte ein Mensch einen derart zwiespältigen Charakter haben? Er trat vom Bürgersteig herunter über die Abflussrinne und lief über die gepflasterte Straße. Gerade in diesem Augenblick bog ein Kutscher in seinem Hansom in rascher Fahrt um die Ecke und beschimpfte ihn, weil er ihm in den Weg gelaufen war. Die Räder spritzten Wasser auf und durchnässten seine Hose, woraufhin er den Mann seinerseits mit einem Schwall von Schimpfwörtern bedachte.
    Als er die gegenüberliegende Straßenseite erreichte, versuchte er sich von Wasser und Schlamm zu befreien. Dann setzte er eilig seinen Weg fort und erreichte nach kurzer Zeit den Woburn Place. Die kahlen Bäume des Tavistock Square lagen direkt vor ihm. Der Himmel wurde wieder klar. Ein Brougham fegte an ihm vorbei. Zwei junge Frauen, die sich untergehakt hatten, lachten laut. Ein kleiner Junge warf einen Stock für ein schwarzweißes Hündchen, das mit aufgeregtem Gebell hinterherlief. »Casper!«, rief der Junge, »Casper! Hol das Stöckchen!«
    Monk bog in den Tavistock Square und blieb vor Nummer vierzehn stehen. Bevor er es sich anders überlegten konnte, betätigte er den Glockenzug.
    »Guten Abend«, begrüßte er das Dienstmädchen, das die Tür öffnete. »Mein Name ist Monk. Ich würde gern Miss Latterly sprechen, falls sie sich im Haus aufhält und bereit wäre, mich zu empfangen. Das heißt, sofern Lieutenant Sheldon damit einverstanden ist?«
    Das Dienstmädchen schien weniger überrascht zu sein, als er erwartet hatte, aber dann fiel ihm ein, dass tags zuvor Rathbone da gewesen sein musste. Irgendwie ärgerte ihn diese Tatsache.
    »Ich hätte natürlich Verständnis, falls sie zu beschäftigt ist«, fügte er hinzu.
    Aber sie war nicht zu beschäftigt, und sehr bald schon erschien sie in der kleinen Bibliothek, in der er wartete. Sie sah adrett aus, wirkte aber ein wenig blass. Ihr Haar hatte sie eine Spur zu straff zurückgebunden. Die Frisur war zweifellos praktisch, für ihr markantes, intelligentes Gesicht aber keineswegs vorteilhaft.
    Sie sah ihn überrascht an. Offensichtlich hatte sie nicht damit gerechnet, ihn zu sehen.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte er steif. »Sie sehen müde aus.« Ihre Züge spannten sich an. Es war offensichtlich nicht das , was sie hören wollte.
    »Mir geht es sehr gut, vielen Dank. Und Ihnen? Sie sehen durchgefroren aus.«
    »Ich bin durchgefroren!«, fuhr er sie an. »Es regnet. Ich bin nass bis auf die Haut.«
    Sie warf einen Blick auf seine Hose und biss sich auf die Lippen.
    »Ja, das sehe ich. Sie wären besser beraten gewesen, einen Hansom zu nehmen. Sie müssen ein beträchtliches Stück gelaufen sein.«
    »Ich habe nachgedacht!«
    »Das sieht man«, erwiderte sie. »Vielleicht hätten Sie besser aufpassen sollen, wo Sie hintreten.« Ein kaum merkliches Zucken ihrer Mundwinkel verriet ihre Erheiterung.
    »Sie arbeiten schon zu lange als Pflegerin«, kritisierte er. »Sie haben es sich angewöhnt, den Leuten Ratschläge zu geben, was sie tun sollten und was nicht. Das ist eine äußerst unangenehme Eigenschaft. Niemand lässt sich gern herumkommand ieren, selbst wenn der Tadel berechtigt ist.«
    Zwei rote Flecken brannten auf ihren Wangen. Er hatte sie verletzt, und er wusste es.
    Sie hob sarkastisch die Augenbrauen. »Und Sie sind durch die Gosse gewatet, nur um mir das zu sagen?«
    »Nein, natürlich nicht !« Er hatte nicht beabsichtigt, mit ihr zu streiten. Warum ließ er sich nur immer wieder von ihr in die Defensive drängen? Er hätte mit keiner anderen Frau so gesprochen. Die bloße Vertrautheit ihres Anblicks, die eigenartige Mischung aus Verletzlichkeit, Arroganz und echter Stärke machten ihm bewusst, wie sehr sie zu einem Teil seines Lebens geworden war - und dieser Umstand ängstigte ihn. Sie konnte nicht fortgehen, ohne das Gewebe seines Lebens zu zerreißen, und er besaß keinen Schild, der stark genug ge wesen wäre, diesen Schmerz abzuwehren. Trotzdem trieb er sie durch sein Verhalten immer weiter von sich weg.
    Er holte tief Luft, um sich unter Kontrolle zu

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