Tödliche Täuschung
bringen.
»Ich bin hergekommen, weil ich dachte, Sie könnten mir in dem Fall, in dem ich für Rathbone tätig bin, behilflich sein«, erklärte er. »Die Verhandlung wird morgen fortgesetzt, und er steckt in beträchtlichen Schwierigkeiten.«
Ihre Besorgnis war unübersehbar, aber wem galt sie, ihm oder Rathbone?
»Sie meinen den Architekten, der sein Wort gebrochen hat? Was versuchen Sie herauszufinden?«
»Den Grund für sein Verhalten natürlich«, erwiderte er.
Sie setzte sich kerzengerade auf einen Stuhl. Er stellte sich vor, wie eine strenge Gouvernante ihr als Kind ein hartes Lineal in den Rücken gedrückt hatte.
»Ich meinte, ob Sie herausfinden wollen, was mit ihm nicht stimmt - oder was mit ihr nicht stimmt«, erklärte sie geduldig, als wäre er ein wenig begriffsstutzig.
»Beides«, antwortete er. »Er ist wichtiger, denn wenn da etwas ist, wäre Rathbone zumindest vorgewarnt.« Er ließ sich auf den anderen Stuhl sinken.
Sie betrachtete ihn ernst. »Was haben Sie herausgefunden?«
Er schämte sich seiner geringen Ausbeute. Der erwartungsvolle Blick in ihren Augen schmerzte ihn. Sie hatte keine Ahnung, wie schwierig es war, an die Art von Informationen heranzukommen, die Rathbone benötigte. Es konnte Wochen dauern, falls er überhaupt etwas herausfand. Er forschte nach den intimsten Einzelheiten im Leben einiger Menschen, nach Dingen, die sie geheim hielten. Die ganze Unternehmung war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
»Es ist nichts, was im öffentlichen Bereich zu finden wäre« , erwiderte er mit einer gewissen Schärfe. »Ich hätte vielleicht eine Chance gehabt, wenn Rathbone mich vor einem Monat hinzugezogen hätte. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist, diesen Fall zu übernehmen. Er hat keine Chance, ihn zu gewinnen. Der Ruf des Mädchens ist untadelig, der ihres Vaters ebenso, wenn nicht besser. Der Mann ist mehr als ehrenwert.«
»Und ist Melville das, abgesehen von dieser Angelegenheit , nicht auch?«, fragte sie herausfordernd.
»So weit ich weiß, schon, ja, aber dies ist eine ziemlich große Ausnahme«, gab er zurück. Er sah sie sehr direkt an. »Ich hätte gedacht, dass Sie mehr Sympathie für die junge Frau hegen, die für alle sichtbar von einem Mann sitzen gelassen wurde, von dem sie mit gutem Grund glaubte, dass er sie liebe.«
Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht.
Eine Woge der Scham stieg in ihm auf. Die Andeutung hinter seinen Worten war nicht im Mindesten beabsichtigt gewesen, er hatte lediglich sagen wollen, dass auch sie eine junge Frau sei. Aber jetzt war es zu spät, das richtig zu stellen. Es würde falsch und heuchlerisch klingen. Er war wütend auf sich selbst. Er musste irgendeine intelligente Bemerkung finden, um seine Worte vergessen zu machen. Andererseits durfte es kein Rückzieher sein.
»Ich dachte, Sie hätten vielleicht eine Vorstellung davon, was sie getan haben könnte, um ihn zu einem solchen Verhalten zu verleiten«, sagte er. Natürlich glaubte er nicht, dass sie sich selbst einmal in einer solchen Lage befunden hatte. Wenn sie auch nur ein Fünkchen Verstand besaß, würde sie wissen, wie seine Worte gemeint waren.
»So, das dachten Sie?«, erwiderte sie kalt. »Das überrascht mich. Sie meinen also, ich hätte ein recht buntes Leben geführt… in dieser Hinsicht. Ich hatte bisher nie den Eindruck, dass Sie so über mich denken. Ganz im Gegenteil.«
Nun verlor er endgültig die Fassung. »Um Himmels willen, Hester, seien Sie nicht so kindisch! Ich habe mir Ihr früheres Leben niema ls irgendwie ausgemalt, weder in Scharlachrot noch in trostlosem Grau! Ich dachte lediglich, dass Sie als Frau die Gefühle der Dame besser verstehen müssten als ich, das ist alles. Aber ich sehe, dass ich mich offensichtlich geirrt…« Er hielt inne, als die Tür geöffnet wurde und ein stämmiger, muskulöser Mann eintrat. Er zog mit erregter Miene die Tür hinter sich zu, würdigte Monk keines Blickes und wandte sich sofort an Hester.
Sie stand auf, als hätte sie Monk vollkommen vergessen, und fragte äußerst besorgt: »Ist etwas passiert?«
Der hoch gewachsene Mann sah flüchtig zu Monk hinüber.
»Das ist Mr. Monk«, stellte Hester ihn beiläufig vor, als er sich ebenfalls von seinem Platz erhob. »Mr. Athol Sheldon.« Sie ließ den beiden Männern keine Zeit zu einer Erwiderung, sondern fuhr hastig fort: »Was ist passiert? Ist etwas mit Gabriel?«
Athol Sheldon entspannte sich ein wenig und stieß einen leisen Seufzer aus. »Tja - ich
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