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Tödliche Therapie

Tödliche Therapie

Titel: Tödliche Therapie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretzky
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ich
Scharen von Menschen auf der Straße und den Gehsteigen ausmachen. Der
Übertragungswagen eines Fernsehsenders ragte aus der Menge heraus; andere Autos
konnte ich nicht entdecken. Ich fragte mich, ob ein örtlicher Heiliger mit
einer Parade geehrt wurde; möglicherweise hatte Lotty ihre Praxis noch gar
nicht geöffnet.
    Ich lehnte mich aus dem Wagenfenster, um mit den
uniformierten Polizisten im Polizeiauto zu sprechen. „Was ist los hier?“
    Mit der gewohnten Auskunftsbereitschaft antwortete
der Mann hinter dem Steuer: „Die Straße ist gesperrt. Sie können hier nicht
durch.“
    Vier Blocks weiter fand ich einen Parkplatz und
eine Telefonzelle an der Straßenecke. Zuerst versuchte ich es bei Lotty zu
Hause, überzeugt, daß sie erst gar nicht in die Praxis gekommen war. Als sich
niemand meldete, rief ich im Büro an. Die Leitung war belegt.
    Ich näherte mich von Süden her dem Gebäude. Auf
dieser Seite waren nicht ganz so viele Menschen, aber am anderen Ende des
Blocks stand ebenfalls ein Polizeiauto. Schreie hallten durch ein Megaphon, und
unverständliche Sprechchöre erfüllten die Luft. Ich kannte diese Geräusche aus
meiner Studentenzeit - eine Demonstration. Beunruhigt stellte ich fest, daß
die Menge dichter wurde, je näher ich der Praxis kam. Offensichtlich würde ich
mich zum Vordereingang durchkämpfen müssen. Ich lief deshalb über ein
Grundstück bis zu dem Weg, der hinter dem Gebäude vorbeiführte, und gelangte so
zur Hintertür. Der Mob, der vor den Kameras seine Vorstellung gab, war noch
nicht bis hierher vorgedrungen. Ich mußte eine Weile klopfen und rufen, bis mir
schließlich Mrs. Coltrain, Lottys Sekretärin, öffnete.
    „Ich hab mich noch nie so gefreut, Sie zu sehen,
Miss Warshawski. Dr. Herschel hat alle Hände voll zu tun, und die Polizei ist
keine große Hilfe. Überhaupt keine Hilfe. Wenn ich es nicht besser wüßte, würde
ich annehmen, daß sie mit den Demonstranten unter einer Decke steckt.“
    „Was ist denn los hier?“ Ich trat ein und half ihr,
die Tür zu verriegeln.
    „Sie schreien da draußen irgendwelche grauenhaften
Sachen. Daß Dr. Herschel eine Mörderin ist, daß wir alle zur Hölle fahren
sollen. Und die arme Carol muß sich das hier so kurz nach der Beerdigung ihrer
Schwester anhören.“
    Ich runzelte die Stirn. „Abtreibungsgegner?“
    Sie nickte sorgenvoll. „Ich habe sechs Kinder
großgezogen und würde es wieder tun. Aber mein Mann verdiente genug, so daß wir
es uns leisten konnten. Manche der Frauen, die hierher kommen, sind selbst noch
Kinder und haben keine Menschenseele, die sich um sie kümmert, geschweige denn
um ein Baby. Und deshalb soll ich eine Mörderin sein?“
    Ich legte ihr mitfühlend die Hand auf den Arm. „Sie
sind natürlich keine Mörderin. Ich weiß, daß Sie Abtreibungen zwiespältig gegenüberstehen,
und ich bewundere Sie dafür, daß Sie Lotty die Treue halten, obwohl sie hier
bisweilen Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Und daß Sie sie sogar verteidigen.
Was sind das für Leute da draußen?“
    „Ich weiß es nicht. Heute morgen um acht kam so ein
armes junges Mädchen, da haben sie schon gewartet. Keine Ahnung, woher sie
wußten, was sie vorhatte, aber kaum war sie hier, begannen sie zu schreien.“
    Der hintere Raum der Praxis wurde als Lagerraum
benutzt, alles war sehr sauber und ordentlich. Ich folgte Mrs. Coltrain in den
vorderen Teil, wo das Geschrei besser zu hören und einzelne Rufe zu
unterscheiden waren.
    „Euch ist es egal, wenn Babys sterben!“
    „Mörder! Nazis!“
    Die Jalousien vor den Fenstern waren
heruntergelassen. Ich bog zwei Lamellen so weit auseinander, daß ich
hinausspähen konnte. Vor der Praxis, das Megaphon in der Hand, stand ein
schlanker Mann, der offensichtlich an einer Überfunktion der Schilddrüse litt.
Sein Gesicht war gerötet aufgrund der Ernsthaftigkeit seines Anliegens. Ich war
ihm noch nie zuvor begegnet, hatte sein Gesicht jedoch schon öfter in der
Zeitung und im Fernsehen gesehen: Es war Dieter Monkfish, Chef von IckPiff -
des Illinois-Komitees zum Schutz des ungeborenen Lebens. Seine Mitstreiter
waren junge Männer, alle leidenschaftlich dabei, ihre eigenen Kinder
auszutragen, und Frauen mittleren Alters, deren Gesichter zu sagen schienen:
Mir wurde die Lebenslust durchs Kinderkriegen ausgetrieben, und anderen soll
es genauso gehen.
    Lotty stand plötzlich hinter mir und begrüßte mich
ebenso begeistert wie Mrs. Coltrain. „Ich war noch nie so froh, dich zu sehen,
Vic. Was

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