Tödliche Therapie
ließ. Nach ein paar Minuten tauchte sie wieder auf,
runzelte ärgerlich die Stirn, sah sich um und ging den Gang zurück.
Ich folgte ihr in gehörigem Abstand. Sie stieg die
Treppe bis in den zweiten Stock hinauf. Ich sah sie das Archiv mit den
Patientenakten betreten und setzte mich mit meiner Mappe auf einen Stuhl in
ungefähr sechs Meter Entfernung von der Bürotür. Ein paar andere Leute,
meistens Frauen, saßen ebenfalls da und warteten. Ich zog den weißen Kittel
wieder aus, steckte ihn zurück in die Mappe und beugte mich über Papiere, die
ich zu Hause wahllos eingepackt hatte. Um Viertel nach zwölf kam Ruth Ann
Motley wieder heraus und steuerte auf mich zu, betrat dann aber die Toilette.
Nach kurzer Zeit erschien sie wieder und ging den Flur zurück und die Treppe
hinunter. Ich wartete noch fünf Minuten, dann vermutete ich sie beim Mittagessen.
Ich schlenderte bis zur Tür des Büros, versuchte
dabei, so offiziell wie möglich zu wirken und trat ein. Es herrschte
Hochbetrieb. Ein halbes Dutzend Schreibtische waren überhäuft mit Akten, auf
jedem Tisch stand ein Computer. Nur zwei Frauen waren anwesend, die
Notbesetzung während der Mittagspause. Eine war ein junges Mädchen, die hier
wohl ihren ersten Job nach der High-School hatte. Die andere war eine
übergewichtige, unsichere Person etwa in meinem Alter, die zu allem Überfluß
auch noch ein lachsfarbenes Hemdblusenkleid trug. An sie wandte ich mich.
Ich lächelte sie knapp an, wie jemand, der es sehr
eilig hat. „Mein Name ist Elizabeth Phelps, Staat Illinois. Wir führen derzeit
unangekündigte Inspektionsbesuche durch, um uns zu vergewissern, daß die
Patientenakten sicher aufbewahrt werden.“
Die Frau blinzelte mich mit ihren wäßrigen blauen
Augen an. Entweder Heuschnupfen oder eine Erkältung. „Sie müssen mit der
zuständigen Abteilungsleiterin sprechen. Ruth Ann Motley.“
„Großartig“, sagte ich energisch. „Bringen sie mich
zu ihr.“
„Oh, sie ist beim Mittagessen. Sie wird in einer
Dreiviertelstunde zurück sein. Wenn Sie solange warten wollen.“
„Das ist leider nicht möglich, ich habe um eins den
nächsten Termin in der Stadt. Ich möchte keine Akten sehen, sondern nur wissen,
ob die Anonymität der Patienten gewahrt wird. Ich habe einige Namen von
Personen dabei, die hier aufgenommen wurden.“ Ich kramte in der Mappe. „Ach
ja. Zum Beispiel Consuelo Hernandez. Ms. Motley wird sicherlich nichts dagegen
haben, wenn sie mir vorführen, wie sicher ihr Ablagesystem ist, indem sie mir
eine Patientin heraussuchen. Oder?“
Die zwei Frauen sahen sich an. Schließlich sagte
die ältere: „Ich glaube nicht. Wir gehen folgendermaßen vor: Der Zugang zum
System ist nur mit einem Paßwort möglich. Jede von uns hat ein anderes, und ich
kann Ihnen meines nicht sagen, weil es außer mir niemand kennen darf.“
Ich stellte mich hinter sie. Sie tippte etwas ein,
was nicht auf dem Bildschirm erschien. Dann zeigte der Bildschirm ein Befehlsmenü
an.
„Mir sind nur zwei Menüfunktionen zugänglich. Ich
kann über den Namen die Patientennummer in Erfahrung bringen und außerdem die
aktuelle Ablage der Akte feststellen. Würden Sie mir bitte den Namen der
Patientin, die Sie nannten, buchstabieren?“
Ich kam ihrer Bitte bereitwillig nach. Sie tippte
ihn ein und drückte die Return-Taste. Nach ein paar Sekunden erschien Consuelos
Name auf dem Bildschirm, das Aufnahmedatum und die Aktennummer: 610342. Ich
prägte sie mir ein und fragte sie, wo die Akte abgelegt sei.
Sie gab einen weiteren Befehl ein und erhielt
folgende Information: Akte am 25.8. von Verwaltung angefordert.
„Ich danke Ihnen vielmals.“ Ich lächelte sie an.
„Sie haben mir sehr geholfen, Miss“ - ich warf einen Blick auf das Namensschild
auf ihrem Schreibtisch - „Digby. Ich glaube nicht, daß ich wiederkommen muß.
Sagen Sie Ms. Motley, ich bin beeindruckt, wie sicher hier Daten verwaltet
werden.“
Ich verließ das Krankenhaus so schnell ich konnte.
Es war erst Viertel vor eins. Mir blieb noch eine Menge Zeit, bevor ich
weitermachen konnte. Nachdem ich keinen Hunger hatte, fuhr ich ziellos durch
die Gegend und fand schließlich ein Schwimmband mit einem wunderbaren
Hundert-Meter-Becken. In einem Einkaufszentrum, wie sie typisch sind für die
Vororte, kaufte ich mir einen Badeanzug, ein großes Handtuch und eine
Sonnencreme für mein Gesicht, das immer noch gegen die mittäglichen
Sonnenstrahlen geschützt werden mußte. Zu guter Letzt erstand ich noch
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