Tödliche Unschuld
meisten Fälle nicht nach Namen, sondern einzig nach den Aktenzeichen überprüfen konnte. Doch zum Schutz der noch nicht volljährigen Opfer war die unbefugte Einsicht in die meisten Akten untersagt.
Also erstellte sie anhand von Aktenzeichen, Polizeiberichten, Personenbeschreibungen eine kurze Liste und ließ den Computer errechnen, wo es mögliche Verbindungen zwischen Personen oder Fällen gab.
Zwölf der fünfundzwanzig minderjährigen Opfer hatten dieselbe Betreuerin beim Jugendamt gehabt.
CLARISSA PRICE, GEBOREN AM 16.5.2021 IN QUEENS, NEW YORK. PASSNUMMER 8876-LHM-22. MUTTER MURIEL PRICE, VATER UNBEKANNT. LEDIG. SEIT DEM 1.2.43 BEIM JUGENDAMT MANHATTAN, MOMENTAN BESOLDUNGSGRUPPE B.
AUSBILDUNG: MASTER’S DEGREE IN SOZIOLO-GIE UND PSYCHOLOGIE VON DER UNIVERSITÄT NEW YORK.
NICHT VORBESTRAFT.
»Ich hätte gern ein Bild von ihr«, bat Eve ihren Computer und studierte dann ein Foto von Clarissa Price. Sie war eine attraktive, gemischtrassige Frau, wirkte offen und kompetent. Nicht viele hielten es so lange bei der Kinderschutzbehörde aus, ohne von dem Stress Falten zu bekommen. Clarissas Haut jedoch war völlig glatt. Das rötlich braune, leicht gelockte Haar trug sie in einem ordentlichen Zopf.
Eve rief ihre Privatadresse und die des Jugendamtes auf, speicherte die Daten und fuhr mit ihrer Suche fort.
Als Nächstes fand sie einen Cop.
Detective Sergeant Thomas Dwier hatte Cogburn vier Jahre zuvor wegen Drogenbesitzes verhaftet. Doch er hatte die Verhaftung überstürzt und Cogburn hochgenommen, ohne sich vorher zu vergewissern, dass die Menge Drogen, die er bei sich hatte, für eine Verurteilung ausreichend war.
Mit einem anderen Dealer, der die Kids der Reichen mit dem Zeug versorgte, hatte er mehr Glück gehabt. Bis jedoch der Fall verhandelt worden war, war es nicht mehr um den Handel, sondern nur noch um Besitz gegangen, weshalb auch dieser Kerl nach Zahlung einer Geldstrafe wieder entlassen worden war.
Mit Fitzhugh hatte er ebenfalls infolge einer Anzeige wegen Entführung und Vergewaltigung zu tun gehabt. Nur hatte der Staatsanwalt die Ermittlungen gegen den Mann aus Mangel an Beweisen eingestellt.
Vor achtzehn Monaten war Dwier Mitglied eines Teams gewesen, von dem die Betreiberin einer Kindertagesstätte unter dem Vorwurf der Herstellung von Kinderpornografie verhaftet worden war. Der Fall war vor Gericht gekommen, wie jedoch zuvor bei Fitzhugh resultierte die Verhandlung in einem Freispruch.
Mary Ellen George, entdeckte Eve, und Chadwick Fitzhugh hatten sich rein zufällig gekannt.
»Kommen Sie, Peabody.« Eve steckte die Diskette mit den Daten ein. »Auf dem Weg zum Tower besuchen wir noch ein paar Leute.«
»Mary Ellen George. Ich kann mich noch genau erinnern.« Peabody saß neben Eve in deren Wagen und ging die von der Chefin gesammelten Informationen durch. »Haben Sie ihr ihre Rolle bei der Verhandlung etwa abgekauft?«
»Was für eine Rolle?«
»Die der am Boden zerstörten, unschuldigen Gouvernante.« Peabody sah ihre Vorgesetzte fragend von der Seite an. »Haben Sie die Verhandlung etwa nicht im Fernsehen verfolgt?«
»Ich schau mir diesen Blödsinn nicht an.«
»Tja, aber dann haben Sie doch sicher in den Zeitungen davon gelesen. Sie waren damals voll mit Kommentaren und Artikeln zu dem Fall.«
»Ich lese niemals Zeitung, und sobald im Fernsehen die Nachrichten beginnen, stelle ich die Glotze aus.«
»Aber, Madam, jeder sollte regelmäßig Zeitung lesen oder Nachrichten sehen.«
»Warum?«
»Nun … um sich über die aktuellen Geschehnisse auf dem Laufenden zu halten.«
»Warum?«
»Weil … weil …« Peabody schob sich die Mütze aus der Stirn und kratzte sich am Kopf. »Schließlich leben wir in dieser Welt.«
»Ja, das tun wir, und wir können anscheinend nichts dagegen tun. Und jetzt sagen Sie mir bitte, inwiefern mich Nachrichten oder Gerichtssendungen zu einem besseren Menschen machen.«
»Nicht besser, aber informierter«, antwortete Peabody.
»Ich habe den Eindruck, dass Nachrichten regelmäßig nur ein paar Minuten echte Neuigkeiten sind. Dann sind sie alt, und die Journalisten müssen irgendetwas erfinden, wie sie das weiter medienwirksam aufblähen können. Wenn Sie mich fragen, ist das ein grauenhafter Kreislauf, in den ich mich nicht reinziehen lasse, weil per Definition alles, was heute aktuell ist, morgen bereits in Vergessenheit gerät. Und bevor man sich umdreht, ist es schon morgen. Also hat man seine Zeit damit vergeudet, sich über irgendetwas
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