Tödliche Unschuld
baumelnden Händen auf einem Hocker saß.
Eve zeigte mit dem Daumen auf die Tür, und folgsam ließ Baker sie mit dem Mann allein.
»Mr Hippel?«
Er hob den Kopf. Sein für gewöhnlich schokoladenbraunes Gesicht wies eine leicht grünliche Verfärbung auf.
»Ich habe noch nie … Ich habe nie zuvor … Das war das erste Mal, dass ich …«
»Möchten Sie einen Schluck Wasser, Mr Hippel?«
»Nein, ich … Die Polizistin hat mir schon ein Glas gebracht, aber ich bin zu zittrig, um irgendwas zu trinken.«
»Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen. Ich bin Lieutenant Dallas.«
»Ja. Ich habe heute Morgen Ihr Interview mit Nadine Furst gesehen.« Er versuchte zu lächeln, was ihm jedoch aufgrund des Zitterns seiner Lippen auf das Kläglichste misslang.
»Sie ist wirklich heiß. Ich versuche immer, ihre Berichte zu sehen.«
»Sie wird begeistert sein, wenn sie das hört.« Eve setzte sich auf einen kleinen, gepolsterten Stuhl. »Ms George hat Sie also angerufen.«
»Ja. Ich hatte schon seit einer Weile nichts mehr von ihr gehört. Wir hatten uns getrennt. In aller Freundschaft«, fügte er schnell hinzu. »Wir haben nicht gestritten oder so. War einfach an der Zeit, sich nach was Neuem umzusehen, das war alles. Okay, eventuell war sie ein bisschen sauer. Ich wollte mich nach was Neuem umsehen, sie aber noch nicht, aber trotzdem gab es keinen Streit. Oder nur einen kleinen.«
Er erstickte fast an seinen Schuldgefühlen und spuckte, während Eve ihm schweigend gegenübersaß, die Informationen mühsam aus. »Vielleicht haben wir uns ein bisschen angeschrien oder so. Meine Güte, sie hat das doch wohl nicht gemacht, weil ich sie fallen gelassen habe, oder?«
»Wann haben Sie sie fallen gelassen, Jay?«
»Vor ungefähr zwei Wochen. Aber es lief schon seit Längerem darauf hinaus. Ich meine, ja, sie war eine gut aussehende, sexy Lady und alles. Und sie hatte jede Menge Kies. Aber ich bin vierundzwanzig und das war sie eben nicht. Ein Kerl braucht hin und wieder auch mal ein Ding in seinem eigenen Alter, oder etwa nicht? Das ist doch nur natürlich. Und Mary Ellen, sie wurde mit der Zeit ein bisschen besitzergreifend. Hat versucht, mich zu kontrollieren, Sie verstehen?«
»Ja. Als Sie sie zum letzten Mal gesehen haben, haben Sie da irgendeine Veränderung an ihr bemerkt?«
»Eine Veränderung? Nein. Sie war die gute, alte Mary Ellen.«
»Sie hat also nicht über Kopfschmerzen oder Unwohlsein geklagt.«
»Sie hat sich gut gefühlt. Wir waren zusammen in einem Club, haben miteinander gelacht, uns ein Zimmer genommen, eine Nummer geschoben, sind dann auf ein paar Drinks wieder nach unten, und sie hat gesehen, wie ich ein paar anderen Röcken hinterhergesehen habe und hat einen Wutanfall gekriegt. Wir haben angefangen zu streiten, und dann habe ich einen Schlussstrich unter die Sache gezogen. Wurde mir langsam zu blöd.«
»Und heute, als sie Sie angerufen hat?«
»Sie sah wirklich schlimm aus. Mann. Hatte Nasenbluten, und ihre Augen waren ganz rot. Sie hat geweint und rumgeschrien. Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte.«
»Was hat sie zu Ihnen gesagt?«
»Meinte, dass ich ihr helfen soll. ›Irgendjemand muss mir helfen‹. Meinte, sie hielte es einfach nicht mehr aus. Das Geschrei in meinem Schädel bringt mich um, hat sie zu mir gesagt. Ich habe versucht, sie zu beruhigen, aber ich glaube, sie hat mich gar nicht gehört.
Ich glaube, sie hat gesagt ›Sie bringen mich um‹, aber sie hat so heftig geschluchzt, dass ich mir nicht ganz sicher bin. Ich dachte, irgendjemand hätte sie geschlagen, deshalb das ganze Blut in ihrem Gesicht. Also habe ich die Bullen angerufen und meinen Hintern selbst hierhergeschwungen. Ich arbeite gleich um die Ecke im Riverside Café. Da habe ich sie auch kennen gelernt. Ich war kurz vor der Polizistin hier und habe versucht, den Portier dazu zu bringen, dass er mich in die Wohnung lässt. Dann kam die Polizistin, und wir sind zusammen rauf. Und dann haben wir sie gesehen.«
Damit ließ er seinen Kopf zwischen seine Knie sinken und brach in leises Schluchzen aus.
Als Dallas in Mary Ellens Wohnung fertig war, fuhr sie zum Leichenschauhaus.
Morris hatte der Toten bereits das Hirn herausgelöst und der Anblick der wabbeligen grauen Masse auf der sterilen Waage war selbst für eine erfahrene Polizistin nicht gerade angenehm.
»Sie hat ihr Hirn hervorragend gefüttert«, stellte Morris fest. »Aber offensichtlich nicht durch das Lesen großer Werke der Literatur oder durch
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