Tödliche Unschuld
er würde weder den Verstand noch das Leben jämmerlich wie eine Laborratte verlieren, denn er hatte für den Fall der Fälle vorgesorgt.
Er nahm vor Cogburns Computer Platz, schob eine Hand unter den Tisch und strich mit seinen Fingern über den Griff der Waffe, die dort lag.
Er hatte die Neun-Millimeter-Beretta Halbautomatik ausgewählt. Es war seine erste Schusswaffe gewesen, er hatte sie mit neunzehn dem Typen abgekauft, der sie ihm an den Kopf gehalten hatte. Natürlich war das Tragen einer solchen Waffe bereits damals nicht erlaubt gewesen. Aber Schmuggler sahen über derartige Dinge eben großzügig hinweg.
Falls also etwas schiefging, wäre es doch sicher passend, wenn er seinem Leben genau mit der Waffe ein Ende machte, mit der er seine Sammlung begonnen hatte und mit deren Hilfe er dem damaligen Elend entkommen war.
Er ging allerdings nicht davon aus, dass irgendetwas schiefging. Sie hatten alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen, und er würde von den besten Elektronikfachleuten des Landes - und einem genialen halbwüchsigen Jungen - überwacht.
Trotzdem würde er im schlimmsten Fall sein Schicksal selbst entscheiden.
Dann löste er die Hand von dem kalten Stahlgriff und wandte sich dem Computer zu.
»Wir werden jetzt erst mal Ihren Puls und Ihren Blutdruck messen.«
Roarke blickte auf den Wandbildschirm und nickte Feeney zu. »Meinetwegen. Aber schalten Sie dann bitte die Gegensprechanlage aus. Ich habe kein Interesse daran, von irgendjemand zugequatscht zu werden, während ich bei der Arbeit bin.«
Er schob eine Hand in seine Hosentasche und rieb an dem kleinen grauen Knopf, den er stets als Glücksbringer bei sich trug. Er war von der Jacke des wenig schmeichelhaften Hosenanzugs abgesprungen, den Eve getragen hatte, als er ihr zum ersten Mal begegnet war.
»Sie können anfangen«, erklärte Feeney.
»Dann fahre ich die Kiste hoch. Nehmen Sie ab jetzt die Zeit.«
Mary Ellen George hatte dank der Einnahmen aus dem von ihr über ihre Verhaftung, das Verfahren und den anschließenden Freispruch geschriebenen Buchs in ihrer luxuriösen Wohnung in der West Side äußerst angenehm gelebt.
Sie war dort auch gestorben, nur dass ihr Tod offensichtlich nicht angenehm gewesen war.
Anders als die beiden toten Männer hatte sie keinen Ausbruch von Gewalt und Zerstörungswut gehabt. Sie hatte sich ins Bett gelegt, mehrere Tage lang erst irgendwelche rezeptfreien Medikamente aus der Apotheke und dann härtere, verbotene Mittel eingenommen und weder auf Anrufe noch auf gelegentliches Klingeln an der Tür ihres Apartments reagiert.
Sie hatte einen Laptop mit ins Bett genommen, was jedoch nicht zu ihrer Genesung beigetragen hatte, sondern ihr Untergang gewesen war.
Eine ihrer letzten Taten war ein hysterischer Anruf bei einem ehemaligen Liebhaber gewesen, in dessen Verlauf sie ihn schluchzend angebettelt hatte ihr zu helfen, weil sie das Gefühl hatte, als würde ihr Gehirn in Kürze explodieren.
Als Letztes hatte sie das Seidenlaken ihres Bettes zu einem Seil gedreht und sich damit erhängt.
Sie trug nur ein weißes, obszön beschmutztes Nachthemd. Ihre Haare waren stumpf, ihre Nägel abgebissen, und ihr Nachttisch war mit blutbefleckten Tüchern und feuchten Lappen übersät.
Wahrscheinlich hatte sie das Nasenbluten stoppen wollen, überlegte Eve und nahm eine Pillenflasche in die versiegelte Hand. Hatte versucht mit Tabletten für zehn Dollar zu verhindern, dass ihr der Schädel barst.
Der Laptop lag noch immer auf dem Bett und auf dem Bildschirm stand in grellen Lettern VOLLKOMMENE REINHEIT ERREICHT.
»Nehmen Sie den Bildschirm auf, Peabody. Bei dem Opfer handelt es sich um Mary Ellen George, weiblich, weiß, Alter zweiundvierzig. Die Leiche wurde um vierzehn Uhr sechzehn vom Hausmeister, Officer Debra Baker und einem gewissen Jay Hippel in ihrer Wohnung entdeckt.«
»Ich bin mit den Aufnahmen der Toten und der Wohnung fertig, Lieutenant.«
»Okay, dann nehmen wir sie runter.«
Es war eine widerliche Arbeit. Schweigend rangen sie mit dem selbst geknüpften Knoten, hievten sich die Tote auf die Schultern und legten sie dann vorsichtig aufs Bett.
»Ohren und Nase des Opfers sind blutverklebt. Auch die Adern in ihren Augen scheinen geplatzt zu sein. Schädel oder Gesichtsverletzungen sind nicht zu erkennen. Es gibt keine sichtbaren Verletzungen außer den blauen Flecken rund um ihren Hals, wie es für Erhängte typisch ist.«
Sie öffnete ihren Untersuchungsbeutel und nahm ein Messgerät
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