Tödliche Unschuld
haben es doch nur auf bekannte Kinderschänder abgesehen. Ich will damit nicht sagen, dass das richtig ist, denn das ist es nicht. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man Dealern und Päderasten die Lichter ausbläst oder irgendeinem Durchschnittsbürger, der hin und wieder zur Entspannung samstagabends ein bisschen Zoner raucht.«
»Ist es das wirklich?« Eve parkte ihren Wagen direkt vor der Tür. »Das Gesetz hat Mr Smith bisher ignoriert. Genau wie all die anderen Übeltäter hat es ihn nicht bestraft. Die Reinheitssucher haben diese anderen bestraft und viele Leute denken: He, keine schlechte Idee. Die Cops haben es nicht geschafft, gegen diese Kerle vorzugehen, und deshalb ist es gut, dass es jemand anders tut. Niemand denkt daran, dass Mary Ellen George freigesprochen worden ist. Vielleicht war sie ja unschuldig.«
»War sie nicht, und deshalb -«
»Nein, das war sie nicht, aber das nächste oder übernächste Opfer könnte es möglicherweise sein. Es ist nicht leicht, mit ansehen zu müssen, wie jemand seiner gerechten Strafe entgeht. Aber es ist immer noch leichter als zu wissen, dass ein Unschuldiger verurteilt worden ist. Diese Menschen maßen sich an, darüber zu entscheiden, wer schuldig und wer unschuldig ist. Nach welchen Kriterien, nach welchem System, mit welchem Recht?
Das legen sie alleine fest. Sie haben gerade erst begonnen, Peabody, und die Öffentlichkeit applaudiert. Aber wollen wir doch mal sehen, wie glücklich die Öffentlichkeit mit ihnen ist, wenn sie anfangen, sich in die Leben der ganz normalen Leute zu mischen und ihnen vorzuschreiben, was gut und richtig ist.«
»Glauben Sie wirklich, dass es so weit kommen wird?«
»Das glaube ich ganz sicher, wenn wir sie nicht daran hindern. Es wird sich so entwickeln, weil sie sich auf einer Mission befinden, und es gibt nichts Gefährlicheres als jemanden auf einer Mission.«
Das wusste sie aus eigener Erfahrung, dachte Eve und warf die Tür des Wagens zu. Sie war schließlich selbst auf einer Mission, seit sie bei der Polizei war.
Als sie das Haus betrat, war sie - anders als normalerweise - keineswegs verärgert, als sie den Majordomus ihres Mannes bereits dort lauern sah.
»Lieutenant, ich würde gerne wissen, wie viele Ihrer Gäste heute hier übernachten werden.«
»Es sind keine Gäste. Es sind Polizisten und ein Kind. Gehen Sie schon mal rauf, Peabody, ich habe noch kurz hier unten zu tun.«
»Zu Befehl, Madam.« In der Annahme, dass Eve die Absicht hatte, den normalen Streit mit Summerset vom Zaun zu brechen, lief Peabody rasch nach oben, um nach McNab zu sehen.
»Wie geht es McNab? Und erklären Sie es möglichst so, dass ich es verstehen kann«, verlangte Eve von Summerset.
»Sein Zustand ist weiter unverändert.«
»Das ist nicht genug. Haben Sie nicht die Aufgabe, irgendwas zu tun, damit es ihm wieder besser geht?«
»Die Nerven und Muskeln reagieren bisher nicht, egal, wie sehr ich mich bemühe, sie zu stimulieren.«
»Vielleicht hätten wir ihn doch in der Klinik lassen sollen.« Sie stapfte durch das Foyer.
»Vielleicht hätten wir ihn doch nicht hierherbringen lassen sollen.«
»Dort hätten sie in den ersten vierundzwanzig Stunden auch nicht mehr für ihn getan.«
»Es sind bereits mehr als vierundzwanzig Stunden«, schnauzte sie ihn an. »Die ersten vierundzwanzig Stunden sind vorbei, und er sollte längst wieder was spüren.« Sie blieb stehen und funkelte Summerset an. »Wie groß sind seine Chancen? Beschönigen Sie es nicht. Wie groß sind seine Chancen, dass das Gefühl und die Beweglichkeit zurückkehren?«
»Inzwischen nehmen sie mit jeder Stunde ab. Und zwar merklich.«
Ehe Eve die Augen schloss, nahm er darin abgrundtiefe Trauer wahr. »Lieutenant. McNab ist jung und fit. Diese Eigenschaften spielen eine große Rolle. Und dass Sie ihm erlauben zu arbeiten, lenkt ihn von seinen Schwierigkeiten ab. Auch das ist äußerst positiv.«
»Entweder wird er in Frührente geschickt oder kriegt irgendeinen langweiligen Bürojob zugeteilt. Und er wird sich nie mehr fühlen wie ein Polizist. Er tänzelt, wenn er geht«, stellte sie leise fest. »Und jetzt sitzt er im Rollstuhl. Gottverdammt.«
»Wir haben bereits mit der Schweizer Klinik telefoniert. Ich glaube, Roarke hat mit Ihnen darüber gesprochen.« Er wartete, bis sie ihn wieder ansah. »Sie werden ihn schon nächste Woche aufnehmen. Sie haben eine beeindruckende Erfolgsquote bei der Nervenregeneration. Er muss die Behandlung fortführen bis
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