Tödliche Unschuld
wissen, falls ich Ihnen sonst noch etwas bringen kann.«
»Dafür gibt es keinen bestimmten Grund«, fuhr sie, nachdem Summerset wieder verschwunden war, versonnen fort. »Ich nehme an, dieser ruhige Fleck hat mich daran denken lassen, wie dankbar ich den beiden für sehr viele Dinge bin. Nicht jeder hat eine so ruhige, unanstrengende Kindheit erleben dürfen.«
»Ich habe keine Zeit für eine Sitzung«, begann Eve, doch die Psychologin umfasste ihre Hand.
»Ich habe nicht nur von Ihnen gesprochen. Die Kinder, die von diesen Menschen geschädigt worden sind, müssen viel Leid verwinden. Das verstehen Sie.«
»Und Sie meinen, deshalb kann ich auch verstehen, wenn man denjenigen tötet, der einen geschädigt hat?«
»Das, was hier passiert, ist etwas völlig anderes als das, was Ihnen damals widerfahren ist. Ich habe mich bereits gefragt, ob Sie in der Lage sind, diese beiden Geschichten voneinander zu trennen. Was Sie getan haben, haben Sie aus Schmerz und Angst spontan getan. Sie mussten sich schützen, mussten sich selber retten. Hingegen ist das, was hier geschieht, kaltblütig geplant. Es ist organisiert und es ist selbstgerecht, wenn ich es in Ermangelung eines treffenderen Wortes so nennen darf. Hier geht es nicht um Notwehr.
Hier geht es um Arroganz.«
Die Verkrampfung in Eves Schultern ließ ein wenig nach. »Ich habe mich schon gefragt, ob das außer mir noch irgendjemand anders sieht. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich nicht nur deshalb eine derart scharfe Grenze ziehe, weil ich mich sonst auf eine Stufe mit den Leuten stellen müsste, die diese Dinge tun.«
»Sie haben getötet, um zu leben. Bei dieser Gruppe ist genau das Gegenteil der Fall. Sie leben, um zu töten.«
»Das sollte mal jemand auf einer dieser gottverdammten Pressekonferenzen sagen.«
Eve griff nach ihrem Glas und trank einen Schluck Wein.
»Wer auch immer diese Gruppe ins Leben gerufen hat, wer auch immer sie anführt, ist intelligent, gut organisiert und überzeugend. Andere wurden vermutlich ihrer speziellen technischen Kenntnisse wegen rekrutiert. Diese Leute wissen, welche Macht die Medien haben. Und sie versuchen sie für sich zu nutzen, denn sie brauchen die Unterstützung der Öffentlichkeit.«
»Sie machen ihre Sache ziemlich gut.«
»Bisher, ja. Ich glaube nicht, dass es ein Zufall ist, dass sie ihre Opfer mit einem Virus töten. Sie sehen es als ein Symbol. Unsere Kinder wurden von diesen Monstern krank gemacht, und nachdem die Gerichte entweder nicht willens oder in der Lage waren, sie dafür zu bestrafen, nehmen wir die Sache selber in die Hand und machen sie genauso krank. Auch die Verwendung der Bezeichnung Wächter steht symbolisch dafür, dass sie sich als Hüter der Gesellschaft sehen. Nach dem Motto, jetzt seid ihr alle sicher, denn wir beschützen euch.«
»Wie lange wird es dauern, bis sie ihre Ziele weiter stecken werden?«
»Bis sie anfangen, unkontrolliert zu töten?« Dr. Mira nahm sich einen mit Streichkäse bedeckten Cracker. »Gruppen neigen dazu, sich weiterzuentwickeln. Erfolgreiche Gruppen dehnen ihre Fähigkeiten und ihren Einfluss früher oder später unweigerlich auch auf andere als die ursprünglichen Gebiete aus. Heute sind die Kinderschänder dran, morgen die freigesprochenen Mörder, dann der kleine Handtaschendieb oder vielleicht der Junkie.
Um New York vollkommen rein zu machen, müssen sie all diese Subjekte eliminieren.«
»Ich glaube, dass mindestens ein Cop und eine Sozialarbeiterin in die Sache verwickelt sind. Außerdem garantiert ein paar Verwandte von Kindern, die diesen Leuten zum Opfer gefallen sind.«
Die Psychologin nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet. »Suchen Sie nach Leuten mit Beziehungen zu Ihren Opfern, die besondere Fähigkeiten haben. Neurologen, Computerfachleute, Physiker, Soziologen, ja auch Psychiater. Und suchen Sie nach potenziellen Gönnern. Für die Entwicklung des Programms und die dafür nötigen Geräte braucht man jede Menge Geld. Sie müssen davon ausgehen, dass es in den nächsten Tagen bereits das nächste Opfer und das nächste Statement dieser Gruppe geben wird.
Sie müssen dafür sorgen, dass die Story auf den Titelseiten bleibt. Diese Reinheitssucher sind auf einer Mission, Eve, und sie benutzen unsere Kinder, um sich zu legitimieren und dafür zu sorgen, dass die Öffentlichkeit sie dabei noch unterstützt.«
»Sie werden eine Begründung für das finden müssen, was mit Halloway passiert ist - mit Feeney und McNab.«
»Ja.«
Weitere Kostenlose Bücher