Tödliche Unschuld
Dr. Mira verfolgte, wie ein Kolibri, der schimmerte wie ein Juwel, mit lautlos schwirrenden Flügeln zu einer Blüte flog. »Ich bin mir sicher, dass sie hervorragend formuliert sein wird.«
Eve schob ihr Glas in kleinen Kreisen über den Tisch. »Roarke und ich haben uns wegen dieser ganzen Sache ziemlich in den Haaren gelegen. Ich schätze, unsere Positionen sind einander durchaus nahe, doch wir stehen nicht ganz auf einer Seite.«
»Das finde ich gut.«
Überrascht hob Eve den Kopf. »Wieso denn das?«
»Sie beide sind verschieden, Eve, und das wollen Sie auch sein. Dass Sie diese Sache aus zwei Blickwinkeln betrachten, hilft Ihnen dabei, einander gegenüber ehrlich und vor allem weiter aneinander interessiert zu sein.«
»Vielleicht. Trotzdem waren wir beide reichlich sauer aufeinander.«
»Das kommt in einer Ehe eben hin und wieder vor.«
»Bei uns so gut wie täglich.« Trotzdem entspannte sie sich etwas und murmelte nachdenklich: »Eventuell liegt es ja daran, dass wir immer ehrlich zueinander sind. Jetzt aber zu etwas anderem. Haben Sie mit Feeney gesprochen?«
»Er ist noch nicht dazu bereit. Aber er hält sich wirklich tapfer. Genau wie Ihnen hilft ihm dabei die Arbeit.«
»Und was ist mit McNab?«
»Ich darf Ihnen keine Einzelheiten unseres Gesprächs verraten. Das wäre ein Vertrauensbruch.«
»Okay.« Eve starrte auf die Reben mit den blauen Blüten. »Aber etwas können Sie mir vielleicht sagen. Glauben Sie, ich sollte ihn von dieser Sache abziehen? Roarke kann ihn nächste Woche in einer Schweizer Klinik, die auf diese Art Verletzungen spezialisiert ist, unterbringen. Doch davor sollte er möglicherweise Urlaub machen, zu seiner Familie fahren oder so.«
»Er ist bei seiner Familie. Indem Sie ihn weiterarbeiten lassen, indem Sie seinen Beitrag weiter schätzen, helfen Sie ihm, sich mit seinem Schicksal halbwegs zu arrangieren. Das, was Sie momentan für ihn tun, hilft ihm wesentlich besser als alles, was ich ihm anzubieten habe. Roarke hat also mit der Jonas-Ludworg-Klinik telefoniert? Typisch.«
»Dann ist es also eine gute Klinik, ja?«
»Es gibt keine bessere.«
»Okay.« Sie presste sich beide Handballen gegen die Stirn. »Das ist gut.«
»Sie hatten einen wirklich schlimmen Tag, nicht wahr?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Ich hoffe, dass es bald mal wieder gute Nachrichten für Sie geben wird.«
»Eine Nachricht habe ich bereits bekommen, die zumindest mit den Fällen nichts zu tun hat.« Sie ließ ihre Hände wieder sinken. »Es hat Mavis erwischt.«
»O mein Gott. Mavis ist krank?«
»Es war Leonardo.«
Mira drückte eine Hand an ihre Brust und starrte Eve entgeistert an. »Leonardo?
Leonardo hat sie krank gemacht?«
»Krank gemacht? Nein, flachgelegt. Sie wissen schon, gevögelt.« Eve schüttelte verwirrt den Kopf, dann aber fing sie an zu lachen, als ihr dämmerte, dass sie total falsch verstanden worden war. »Und dabei hat er einen Volltreffer gelandet, nach dem Motto ›Spermie trifft auf Ei‹. Sie ist schwanger.«
»Schwanger? Mavis ist schwanger? Deshalb haben Sie gesagt, es hätte sie erwischt.
Himmel, den Ausdruck hatte ich völlig vergessen. Das ist mal eine wirklich gute Neuigkeit. Freuen sich die beiden?«
»Sie kreisen vor lauter Seligkeit wahrscheinlich um den Pluto. Er entwirft bereits Umstandskleider für sie.«
»Meine Güte. Das wird sicher ein toller Anblick werden. Wann ist es denn so weit?«
»Wie weit? Oh, richtig. Sie meinte, wahrscheinlich im März. Sie schreibt bereits ein Lied darüber. Von der Liebe voll erwischt.«
»Klingt nach einem zukünftigen Hit. Sie werden sicher wunderbare und einzigartige Eltern sein. Und wie fühlen Sie sich als zukünftige Tante Eve?«
Eve hatte das Gefühl, als hätte man ihr einen Faustschlag in die Magengrube versetzt.
»Ich habe das Gefühl, dass ich jeden, der es wagt, mich so zu nennen, ernsthaft verletzen muss. Selbst Sie.«
Lachend lehnte Dr. Mira sich auf ihrem Stuhl zurück. »Das wird faszinierend werden.
Wenn Sie Mavis sprechen, bevor ich selber die Gelegenheit dazu bekomme, richten Sie ihr bitte meine Grüße und meinen herzlichen Glückwunsch aus.«
»Gerne. Kein Problem.« Eve warf einen Blick auf ihre Uhr.
»Ich sehe, Sie haben es eilig, mit Ihrer Arbeit fortzufahren. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich noch etwas hier sitzen bleiben und in Ruhe mein Weinglas leeren würde?«
»Nein, bleiben Sie so lange sitzen, wie Sie wollen. Aber ich muss leider langsam los.«
»Viel Glück.« Als
Weitere Kostenlose Bücher