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Toedliche Worte

Toedliche Worte

Titel: Toedliche Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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arbeiten. Wenn er also Paula heute Abend da draußen gesehen hat, weiß er, dass sie Frischfleisch ist. Und was hat sie heute Abend getan?«
    Carol dachte einen Moment nach. »Sie hat sich wie ’ne Prostituierte benommen.«
    Tony stellte sorgfältig sein Glas ab. »Nein. Hat sie nicht. Carol, sie ist mit keinem einzigen Freier mitgegangen. Als Hure war sie eine totale Versagerin. Wenn unser Mann sie also beobachtet hat, wird er eins von zwei Dingen angenommen haben. Entweder dass sie ein Köder ist, in dem Fall seid ihr aufgeflogen. Oder dass sie neu im Geschäft und zu wählerisch ist. In dem Fall wird er das Risiko nicht eingehen, sie anzusprechen.«
    Carol schloss einen Moment die Augen. Sie hatte doch so viel von Tony darüber gelernt, wie man sich in den Feind hineindenkt, wieso war sie nicht selbst darauf gekommen? Sie war zu sehr mit ihren eigenen Reaktionen beschäftigt, daran lag es. Ihre Priorität war der Schutz für Paula gewesen und nicht die Frage, ob der Honigtopf verlockend genug war. »Was mach ich also jetzt?«, fragte sie matt.
    »Geh morgen Abend wieder mit Paula auf die Straße hinaus und stell ein paar falsche Freier auf. Zwei Typen in Autos, zwei zu Fuß. Sieh zu, dass es so aussieht, als hätte sie gelernt, nicht so pingelig zu sein, sondern zu arbeiten und nicht herumzustehen wie bestellt und nicht abgeholt.« Er lächelte. »Das ist alles, was ich noch sagen wollte. Kann ich jetzt also mit dir nach Hause fahren, oder soll ich den Nachtbus nehmen?«

    Regen tröpfelte trostlos vom Himmel, der von einem so düsteren Grau wie ein Schlachtschiff war und der Landschaft in Derbyshire alle Farbe nahm. Ihr kleiner Trupp war dem Strom des morgendlichen Rush-Hour-Verkehrs entgegen aus Bradfield hinausgefahren, und sie kamen kurz nach neun am Parkplatz des stillgelegten Bahnhofs von Miller’s Dale an. Vom braunen Sandstein der Wände schien die Feuchtigkeit wie Tränen herabzurinnen. Carol wandte sich an Jonathan, der mit blassem Gesicht neben ihr auf dem Rücksitz saß. »Alles klar?«, fragte sie.
    Sie hatten im Auto auf dem Weg von Bradfield hierher wenig gesprochen, denn sie war in die Pläne für den nächsten Abschnitt ihrer verdeckten Aktion vertieft. Doch selbst wenn sie es nicht gewesen wäre, hätte die Anwesenheit von Sam Evans, der das Zivilfahrzeug fuhr, das Gespräch in engen Grenzen gehalten. Aber Jonathan war sowieso kaum zum Sprechen aufgelegt. Meistens starrte er nur geradeaus, als fasziniere ihn das Hin und Her der Scheibenwischer.
    »Ich bin bereit, wenn du das meinst«, sagte er mit einem tiefen Atemzug und hob die Schultern. Er nahm die Wachsjacke, die er auf den Mittelsitz gelegt hatte, öffnete die Tür und stieg aus.
    Carol trat zu ihm. »Ich bin wirklich dankbar, dass du uns dabei hilfst«, sagte sie. »Sobald du die Stelle genau bestimmt hast, lasse ich dich nach Bradfield zurückbringen.«
    Er nickte. »Ich weiß nicht, wie du täglich von morgens bis abends mit diesen Dingen fertig wirst«, gestand er. »Mir kommt schon das kalte Grauen, wenn ich nur daran denke.«
    »Den Toten gegenüber Wort halten. So nennt es Tony.« Carol sah sich um. Die Gruppe sammelte sich, die Spurensicherung in den vertrauten weißen Anzügen, die die Verunreinigung von Beweismaterial verhindern sollten. Kevin und Sam kämpften sich in ihre Anzüge hinein und übten leise Kritik an der im Allgemeinen recht unbehaglichen Situation. »Wir sollten auch Anzüge anziehen«, sagte Carol. Sie holte zwei aus dem Van der Spurensicherung und nutzte die Gelegenheit, um mit Kevin und Sam zu sprechen. »Ich hatte eigentlich nicht vor, hier dabei zu sein«, sagte sie. »Aber Dr. France hatte kalte Füße bekommen. Es ist eure Aktion, ich bin nur als Zuschauerin hier und werde nicht lange bleiben.«
    Kevin schenkte ihr ein knappes Lächeln. »Danke, Chefin.«
    Als alle bereit waren, begannen sie, der ehemaligen Bahnlinie zu folgen. Es war jetzt ein öffentlicher Fußweg, dessen spitze Schottersteine das Gehen mühsam machten. Als die Dampfloks hier noch regelmäßig verkehrten, muss es eine atemberaubende Fahrt gewesen sein, dachte Carol. Selbst an einem tristen Wintermorgen mit wenig Licht und schlechter Sicht offenbarte sich die dramatische Schönheit der Landschaft. Gestreifte Kalksteinklippen und Felsenriffe ragten um sie herum auf, in deren Ritzen hier und da genügsame Pflanzen wuchsen. Die riesigen Felsen reckten sich in unzähligen Nuancen von Grau dem Himmel entgegen und schienen über ihrem Kopf

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