Toedliche Worte
musste es ohne langes Herumtasten erfolgt sein. Der Entführer hatte sich offenbar nicht auf bloßes Experimentieren und Glück verlassen müssen. Er hatte Bescheid gewusst. Und das grenzte den Verdacht auf Carol und ihr Team ein.
Zuerst hatte er eher an Chen oder Evans gedacht. Wegen ihrer Zugehörigkeit zu anderen Rassen schienen sie die offensichtlichsten Außenseiter. Es war nicht schwer, sich vorzustellen, wie sich im Lauf der Jahre ihre Ressentiments ansammelten, wenn sie sich einer Organisation gegenüber als machtlos betrachteten, die unerbittlich darauf ausgerichtet war, anderen die Kontrolle zu übergeben. Bei Chen schien ihm der Ansatz wegen ihrer Manie für Computer besonders vielversprechend. Mit Menschen umzugehen und zu kommunizieren fiel ihr nicht leicht, was sie, sollte sie die Mörderin sein, dazu verleitet haben könnte, sich einer ausführenden Person zu bedienen. Auch Evans hatte etwas Kaltes an sich, eine Distanz, die vermuten ließ, dass es ihm vielleicht Spaß machte, andere für seine Zwecke auszunutzen.
Und dann war ihm aufgegangen, dass Jan nicht nur eine weitere Außenseiterin war, sondern auch eine einzigartige Verbindung zu Paula hatte. Deshalb hatte er am Vormittag die Unterhaltung in eine Richtung gelenkt, von der er hoffte, sie würde ihm mehr über sie sagen. Und das war auch geschehen. Dann hatte er sich erinnert, dass Carol erwähnt hatte, Jan sei dabei gewesen, als Paula ihre Verkleidung auswählte. Niemand war also in einer besseren Position, sich zu vergewissern, dass das Kabel da war, wo es sein sollte. Daher war er hier und vertraute ganz allein auf seinen instinktiven Verdacht.
Er knipste das Licht im Flur an. Es war ein Risiko, aber es brachte nichts, sich hier im Dunkeln aufzuhalten. Der Boden war überall mit dickem cremefarbenem Teppich bedeckt. Auch das Wohnzimmer und die Treppe waren damit ausgelegt, und er war makellos sauber. Also keine Kinder oder Haustiere in diesem Haushalt. Er sah auf seine Füße hinunter und erblickte ein Paar Pantoffeln an der Haustür. Nichts aus der Welt da draußen sollte diesen Ort beflecken.
Er ging durch das Wohnzimmer, stand auf der Schwelle, nahm alles in sich auf und vertiefte dann den ersten Eindruck durch eine genauere Betrachtung. Es war ein großes Zimmer, aus dem ein Bogengang von der Sitzecke zu einem Esstisch führte. Zwei große cremefarbene Couchen dominierten den ersten Teil des Raums, jede mit vier exakt platzierten dunkelroten Samtkissen versehen. Vor der einen stand ein Couchtisch aus Holz und Glas. Darauf lagen eine Radio Times und die Morgenzeitung, beide perfekt gerade ausgerichtet. Die Wände waren in einem etwas dunkleren Ton als der Teppich cremefarben gestrichen. Über einem Kamin mit künstlichem Feuer hing die Reproduktion eines Mondrian-Bildes mit einem geometrischen Motiv. Ein Flachbildfernseher beherrschte eine Ecke des Zimmers, darunter DVD-Player und Videogerät.
Auf der anderen Seite des Kamins waren Bücherregale eingebaut. Tony ging hinüber, um sie anzusehen, wurde aber von dem Laptop auf dem Esstisch abgelenkt. Er ging unter dem Bogengang durch, öffnete den Laptop und schaltete ihn an. Während er wartete, bis er hochgefahren war, ging er zu den Bücherregalen zurück. »Es muss doch eine Aufzeichnung geben«, murmelte er.
Die unteren Borde enthielten Videos, die oberen Bücher. Die meisten Bücher waren Lesben-Romane, von billigen, kitschigen Groschenheftchen bis zu ernsterer Literatur wie Sarah Waters, Ali Smith und Jeanette Winterson. Gar nicht dazu passend gab es ein Dutzend zerlesener gebundener Krimis von John Buchan. Auf dem obersten Bord standen juristische Lehrbücher und Polizeihandbücher. Er bückte sich, um die Videos zu studieren. Amerikanische Copshows wie CSI, NYPD Blue und Law & Order nahmen den größten Platz ein, obwohl es auch ein paar Klassiker für Lesbierinnen wie Bound und Show Me Love gab. Er nahm ein paar Kassetten heraus, alle waren in den dazugehörigen Hüllen.
»Es muss doch eine Aufzeichnung geben«, sagte er noch einmal, ging zum Computer zurück und betrachtete ihn. Das Problem war, dass er von Technik nicht viel verstand. Er wusste genug, um mit den Programmen umgehen zu können, die er nutzen wollte, aber das war’s auch schon. Er brauchte Stacey Chen. Aber die war im Moment so unerreichbar wie der Mond. »Die Datei ist bestimmt nicht hier drauf. Dafür bist du zu schlau. Du weißt ja, was Leute wie Stacey fertig kriegen. Nein, du wirst etwas Greifbares
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