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Toedliche Worte

Toedliche Worte

Titel: Toedliche Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Sam Evans zusammengesunken auf seinem Platz. Seine Jacke hatte er sorgfältig auf einem Kleiderbügel an den Griff eines Aktenschranks gehängt. An seinem strahlend weißen Hemd waren an den Ärmeln noch die glatten Bügelfalten zu sehen. Er und Kevin hatten sich an der Seite des Raums, die am weitesten von Stacey und ihren Computern entfernt war, eine Raucherecke eingerichtet.
    Evans’ Haltung beim Lesen war fast lässig, als sehe er mal kurz die Sonntagszeitung durch. Aus seinem Gesichtsausdruck ließ sich nichts entnehmen. Aber ab und zu zog er einen Minidisc-Recorder aus der Hosentasche. Dann murmelte er ein paar Worte hinein und steckte ihn wieder weg. Carol glaubte nicht, dass ihm etwas entging.
    Paula dagegen breitete sich gerne aus. Schon eine halbe Stunde nachdem sie mit der Arbeit begonnen hatte, war der ganze Schreibtisch mit Papierstößen bedeckt, während sie die Akte vor sich durchging. Aber obwohl sie anscheinend so chaotisch war, wusste sie stets, wo alles war. Ohne zu zögern oder hinsehen zu müssen, griff sie nach dem nächsten Blatt Papier, das sie brauchte. Es war, als hätte sie vor ihrem inneren Auge ein vollständiges, genau unterteiltes Bild, das sich ihrem Gehirn fest eingeprägt hatte. Carol fragte sich, ob sie auch bei Verhören jedes Stückchen Information an seinem bestimmten Platz speicherte, bis sich die Verbindungen herstellten und wie in einem geschlossenen Schaltkreis das Ergebnis aufleuchtete.
    Stacey stellte den vollkommenen Kontrast zu Paula dar. Selbst ihre Art sich zu kleiden stand im Gegensatz zu Paulas sportlichem T-Shirt und den Jeans. Staceys Kostüm saß wie angegossen, und der feine Rollkragenpulli sah nach Kaschmir aus. Eine überraschend aufwendige Garderobe für eine einfache Kripobeamtin, dachte Carol. Bei der Arbeit schien Stacey eine Abneigung gegen Papier zu haben. Sie hatte die Akte, die sie las, auf eine herausgezogene Schublade gelegt, damit sie auf ihrer Arbeitsfläche Platz für den Computer hatte. Den größten Teil ihrer Aufmerksamkeit wandte sie den beiden Bildschirmen ihres Computersystems zu. Schnell ging sie die Unterlagen der Akte durch, dann flogen ihre Finger über die Tastatur, bis sie schließlich den Kopf zur Seite legte, mit der linken Hand durch ihr glänzend schwarzes Haar fuhr und einen weiteren Mausklick machte. Offenbar fühlte sie sich zur virtuellen Welt, die sich manipulieren ließ, viel mehr hingezogen als zur wirklichen.
    Carol fand, durch eine Mitarbeitergruppe mit so vielen unterschiedlichen Fähigkeiten und Eigenschaften sei man wohl für die meisten Aufgaben gut abgesichert. Die Schlüsselfrage war, ob sie alle dazu motivieren konnte, als eine Einheit zusammenzuarbeiten. Solange sich nicht alle als Teil des Teams betrachteten, würden sie weniger sein als die Summe seiner Teile. Sie seufzte. Recht bald sah sie sich schon einen Abend mit ihren Mitarbeitern in einem Pub verbringen. Alles in allem hätte sie eine Zahnarztbehandlung ohne Betäubung dieser Vorstellung vorgezogen. Seit ihrer Rückkehr aus Deutschland war sie noch keinen einzigen Abend aus gewesen. Es war selbst zu viel für sie gewesen, mit guten Freunden in Restaurants zu gehen. Beim Gedanken an laute Pubs oder Clubs voller Menschen wurde ihr fast schon schlecht. »Du musst drüber wegkommen«, murmelte sie zornig vor sich hin, als sie sich wieder den Unterlagen zum Fall Tim Golding zuwandte.
    Sie las die Aussage noch einmal, die der Biogemüse-Händler zu Protokoll gegeben hatte. Meine Güte, wie Harriestown sich in den paar Jahren, die sie weg gewesen war, verändert hatte. Die Leute in der Gegend hier hätten sich früher für Biogemüse höchstens als Wurfgeschosse interessiert.
    Sie war so in Gedanken vertieft, dass sie bei dem kräftigen Klopfen an ihrem Türrahmen zusammenfuhr. Die Seiten, die Carol in der Hand hielt, flatterten unbeachtet auf den Schreibtisch, als sie mit klopfendem Herzen und aufgerissenen Augen ihren Stuhl zurückschob. Das ist neu, dachte sie. Die Carol Jordan von früher hätte sich nicht so leicht erschrecken lassen.
    »Tut mir leid, ich wollte mich nicht an Sie ranschleichen.« Die Frau in der Tür schien sich eher zu amüsieren als zu entschuldigen.
    Carol hatte die Angewohnheit, sich von neuen Bekanntschaften ein Bild zu machen, als müsse sie alle Einzelheiten für die zentrale Datenbank der Kripo festhalten. Mittelgroß, drahtig wie Carol selbst. Gerade Schultern, volle Brüste, schmale Hüften, welliges braunes Haar, eine

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