Toedliche Worte
Strubbelfrisur, die vor ein paar Jahren in Mode gewesen war und die sie wahrscheinlich beibehalten hatte, weil sie einen seltsamen Kontrast zu ihrem engelhaften Gesicht bildete, aber gut aussah. Ihre Gesichtszüge ließen sie immer wirken, als werde sie gleich strahlend lächeln. Nur die Augen verrieten sie. Denn sie hatte den alles erfassenden, geschärften Polizisten-Blick, der der Vielfalt menschlicher Bosheit überdrüssig war. Sie trug schwarze Jeans, ein schwarzes T-Shirt aus Seide und eine karamellfarbene Lederjacke. Wer immer sie sein mochte, Carol war sicher, sie nicht zu kennen. »Ich war in Gedanken gerade ganz woanders«, sagte sie und stand auf.
»Das wäre ja jeder, hätte man nur die Gelegenheit dazu.« Um die Augen der Frau erschienen bei ihrem unbefangenen Lächeln feine Fältchen, und sie kam näher und streckte Carol die Hand hin. »Sergeant Jan Shields. Ich arbeite im Revier von Temple Fields.«
»DCI Jordan«, sagte Carol und erwiderte den warmen, angenehmen Händedruck. Sie setzte ein sarkastisches Lächeln auf. »Sie sind also vom Sittendezernat?«
Jan seufzte. »Ach bitte. Wegen der blöden Fernsehserie bekommen wir jetzt wieder das Etikett, das wir in der schlechten alten Zeit hatten. Ja, ich gehöre zum Sittendezernat. Deshalb kriegen wir auch nur ein schäbiges Büro, und Sie bekommen die Chefetage. Wie haben Sie sich eingelebt?«
Carol zuckte mit den Schultern, sie fand die Vertraulichkeit einer Kollegin untergeordneten Ranges, auch wenn sie ungefähr so alt wie sie selbst war, etwas unangemessen. »Wir tasten uns so langsam vor. Also, Sergeant Shields, geht es hier um einen netten Besuch, oder kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Ich glaube, vielleicht kann eher ich Ihnen helfen.« Jan hielt einen dünnen braunen Umschlag hoch und lächelte spöttisch.
Carol hob die Augenbrauen und zog sich hinter ihren Schreibtisch zurück. »Ach, wirklich?«
»Ihr Team befasst sich doch mit ungelösten Fällen, bis Sie einen neuen Treffer landen, oder?«
»Wir sehen uns die Dinge an, ja.«
»Und einer dieser Fälle ist wohl Tim Golding?«
»Sie sind gut informiert, Sergeant.«
Jan zuckte mit den Achseln. »Sie wissen ja, wie das so geht. Klatsch und Tratsch verbreiten sich mit Lichtgeschwindigkeit.«
»Und heute sind wir wohl die brisanteste Neuigkeit?« Carol setzte sich. Sie wollte ruhig und selbstbewusst wirken. »Was haben Sie mir also mitzuteilen?«
»Es ist eine ziemlich lange Geschichte.« Jan zeigte auf den Stuhl, der Carol gegenüberstand. »Darf ich?« Sie setzte sich und schlug ganz unbefangen die Beine übereinander.
Carol beugte sich vor. »Also, worum geht es?«
»Als Sie früher hier waren, war ich einem Team des Innenministeriums zugeteilt, das mit dem FBI zusammen eine langfristig angelegte Ermittlung im Internet zu Pädophilen durchführte. Sie haben wahrscheinlich von Operation Ore gehört?«
Carol nickte. Die Medien hatten sich mit der Gier eines halb verhungerten Steppenwolfs, den man in einem Schlachthaus loslässt, auf Operation Ore gestürzt. Durch die Ermittlung hatte man zwischen Tausenden von Verdächtigen auf beiden Seiten des Atlantiks eine Verbindung hergestellt. Männer, die im Internet surften und sich mit ihren Kreditkarten Zugriff auf Seiten verschafften, von denen sie Bilder mit Kinderpornografie herunterladen konnten. Aber schon allein durch die Fülle der Ergebnisse wurde Operation Ore ein Opfer seines eigenen Erfolgs. In den überforderten Behörden sah man auf den Berg von Beweisen und raufte sich vor Verzweiflung die Haare. Carol hatte von einem Kollegen gehört, dass die Mitarbeiter, die ihm zur Verfügung standen, neuneinhalb Jahre brauchen würden, um alle in ihrem Einzugsbereich Genannten auch nur zu verhören, ohne ihre Festplatten einzuziehen und zu analysieren. »Sie hatten damit zu tun?«
»Im Anfangsstadium, ja. Seit zwei Jahren bin ich jetzt wieder zurück und habe mich neben den üblichen Dingen, die sonst auf den Straßen passieren, hauptsächlich um die Herausarbeitung von Schwerpunkten auf unserer Liste gekümmert. Während der letzten sechs Monate haben wir uns unsere wichtigsten Kandidaten vorgenommen. Wir treten ihre Türen ein und nehmen ihre Computer mit. Nach einer ersten Befragung lassen wir sie gewöhnlich gegen Kaution frei, bis die Analyse durchgeführt ist.«
»Und das kann Wochen dauern, nehme ich an?«
Jans Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Wenn wir Glück haben. Jedenfalls habe ich gestern von den Spezialisten
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