Toedliche Worte
er, weil die Stimme es ihm gesagt hat. Und alles andere, was die Stimme ihm gesagt hat, war immer richtig.
Den ganzen Tag hat er schon gegrübelt, was auf ihn zukommen wird. Den ganzen Tag schon hat sich ihm alles im Kopf gedreht. Obwohl er versuchte, dies zu verbergen, haben es die Leute bemerkt. Aber sie erwarten selbst unter den günstigsten Umständen nicht viel von ihm und registrieren es deshalb nicht so, dass sie sich später noch daran erinnern werden. Meistens verspotten sie ihn nur, und einer oder zwei nehmen seine Schwerfälligkeit als Vorwand, um ihn zu quälen. Aber auch daran ist er ja gewöhnt. So ist es immer gewesen, bis die Stimme kam und ihm sagte, er hätte Besseres verdient. Er war der Baum, den jeder Hund anpisste. Derjenige, der ein solcher Trottel war, dass alle anderen neben ihm toll aussahen.
Heute Abend wird er’s ihnen zeigen. Heute Abend wird er etwas tun, was sich keiner von ihnen trauen würde. Und er wird es richtig machen.
Jawoll.
Der Parkplatz lag im Schatten der hohen, mit Stacheldraht besetzten Backsteinmauern, mit denen er eingezäunt war. Als er gebaut wurde, konnte sich noch niemand vorstellen, wie rasant die Anzahl der Autobesitzer ansteigen würde. Deshalb war er immer viel zu voll, mit zwei Wagen auf jedem Stellplatz, ein ständiges Ärgernis für die, die ihn benutzen mussten.
Außerdem war er angeblich sicher. Eine stabile Eisenstange musste angehoben werden, bevor man ein- oder ausfahren konnte. Und der Diensthabende hatte die Aufgabe, jedes einzelne hereinkommende Auto sorgfältig zu kontrollieren. Aber der Mann, der an einen der Wagen gelehnt stand, wusste, wie man das Überwachungssystem umgehen konnte. Als er bei anderen Gelegenheiten hier gewesen war, hatte er sich mit den Wachleuten angefreundet, weil er meinte, das werde er später einmal nutzen können, um ohne die nötige Genehmigung wieder hier hereinzukommen.
Und heute war es so weit. Er hatte schon fast eine ganze Stunde gewartet und las, an die Motorhaube einer silberfarbenen Limousine gelehnt, ruhig die Unterlagen, die er in seine Aktentasche gestopft hatte, doch dabei beobachtete er aus den Augenwinkeln die ganze Zeit das große Gebäude vor dem Parkplatz. Aber das Tageslicht schwand bald, und die Luft erinnerte an die beißende Winterkälte. Das Warten wurde immer unangenehmer. Er sah auf seine Uhr. Kurz nach sechs. Er würde noch eine halbe Stunde investieren und sich dann in die Nacht davonmachen. Aus verschiedenen Gründen wollte er nicht im Dunkeln herumstehen.
Ein paar Minuten danach sah er die Person, auf die er gewartet hatte. Als an der Hintertür im Licht der Sicherheitsbeleuchtung blonde Haare aufleuchteten, setzte er sich in Bewegung. Er stopfte die Mappe in die Aktentasche zurück, richtete sich auf und ging auf das Heck des Wagens zu, um der Frau den Weg abzuschneiden, bevor sie die Wagentür erreichte.
Sie schaute gerade noch über die Schulter zurück und rief einem Kollegen etwas zu, von dem sie sich verabschiedet hatte, als er kaum zwei Meter entfernt vor ihr stand. Schock und Erstaunen malten sich auf ihrem Gesicht, und sie blieb abrupt stehen. Wie zum Schreien öffnete sie den Mund, blieb aber still.
»Hi, Carol«, sagte Tony. »Hättest du Lust, indisch essen zu gehen?«
»Herrgott noch mal«, stieß sie hervor und ließ die Schultern sinken. »Fast hätte ich ’nen Herzschlag bekommen. Was machst du denn hier?«
Er breitete die Arme aus und spielte den Unschuldigen. »Wie ich schon sagte, ich würde dich gern zum Essen einladen.«
»Bringst mich eher dazu, dass ich vor Schreck durchdrehe. Was treibst du denn in Bradfield? Du solltest doch in St. Andrews sein.«
Er hob beschwörend einen Finger. »Später. Also, schließt du den Wagen auf? Ich erfriere fast.«
Etwas verwirrt ließ Carol gehorsam die Schlösser aufspringen und sah ihm nach, als er um den Wagen herum zur Beifahrertür ging. Sie musste unwillkürlich lächeln. So jemanden wie Tony Hill gibt’s wirklich nur einmal auf der Welt, dachte sie.
Zwanzig Minuten später hatten sie am Rand von Temple Fields, dem Teil der Stadtmitte, wo sich das Schwulenviertel in nicht gerade behaglicher Nachbarschaft zum Rotlichtdistrikt ausgebreitet hatte, eine ruhige Ecke in einem preiswerten und freundlichen bengalischen Lokal gefunden. Die anderen Gäste waren Studenten und Leute, die – am völlig falschen Ort – auf erotische Abenteuer aus waren. Carol und Tony hatten das Lokal entdeckt, als sie zum ersten Mal an einem
Weitere Kostenlose Bücher