Toedliche Worte
Ermordung ein Nebenprodukt wäre? Wenn es das Ziel des wahren Mörders wäre, dass Derek Tylers Verurteilung aufgehoben wird?«
Tony neigte den Kopf zur Seite und überlegte. »Das würde funktionieren? Man könnte eine Berufung darauf aufbauen? Trotz der überwältigenden Beweise gegen Tyler?«
»Man könnte jedenfalls einen verdammt erfolgversprechenden Versuch machen. Besonders wenn jemand wie du im Zeugenstand steht und seine nicht unbeträchtliche Berufsehre dafür riskiert.«
»Aha«, sagte er. »Ich verstehe, du willst also nicht, dass ich es an die große Glocke hänge?«
»Besonders nicht, wenn Anwälte oder Journalisten in der Nähe sind«, sagte Carol. »Aber was meinst du? Würde das als Motivation ausreichen?«
»Schwer zu sagen. Es müsste jemand sein, der sich leidenschaftlich für Derek Tyler einsetzen würde und schlau genug wäre, uns zu manipulieren. Es ist kein sehr wahrscheinliches Szenario, aber es ist möglich.« Er lächelte. »Du denkst wie ein Detektiv und ich wie ein Geistesgestörter, deshalb arbeiten wir so erfolgreich zusammen.«
Nach dem Aufenthalt in der Gerichtsmedizin war er geradezu erleichtert, wieder in Bradfield Moor in der Anstalt zu sein. In der Anmeldung erfuhr er, wo Derek Tyler zu finden sei. Weil er als nicht gewalttätig eingestuft war, durfte er mit anderen der gleichen Kategorie im Speisesaal essen. Der niedrige Raum war fast so groß wie eine Scheune, und es roch nach Pommesfett und verkochtem Kohl. Die Wände waren nach den Richtlinien der Farbtherapie, die Tony insgeheim für wissenschaftlichen Humbug hielt, blau und gelb gestrichen. Jede wohltuende Wirkung, die diese Gestaltung eventuell hätte haben können, wäre sowieso durch die Kratzer und Flecken wieder aufgehoben worden, die die Wände vom Fußboden bis hinauf zur Decke aufwiesen. Durch das Sicherheitsglas der Fensterscheiben hatte man einen Blick auf Büsche, hauptsächlich gefleckten Kirschlorbeer und Rhododendron. Wenn sie nicht schon deprimiert hier reinkommen, dachte Tony, dann werden sie es bestimmt bald.
Er bat einen der Pfleger, ihm Tyler zu zeigen, dann holte er sich ein Tablett mit einem Teller Nudelauflauf und Erbsen und wählte einen Tisch, der etwas abseits stand. Von dort aus konnte er den Mann gut beobachten, der über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten der Morde an vier Prostituierten überführt worden war und seinen Drang zu morden auf die Stimme in seinem Kopf zurückgeführt hatte. Ein paar der anderen Insassen blickten zu Tony hinüber, einige starrten ihn ungeniert an. Aber niemand machte Annäherungsversuche.
Tyler war ein schlaksiger, dürrer Typ Mitte zwanzig. Er saß über seine Würstchen mit Eiern und Pommes gebeugt wie ein Geizkragen über seinem gehorteten Gold, den Kopf gesenkt, so dass Tony kaum mehr von ihm sehen konnte als den rasierten Schädel und die Tätowierungen auf seinen mageren Unterarmen.
Tony verzehrte geistesabwesend seine Mittagsmahlzeit und spülte das fade Essen mit starkem Tee hinunter. Tyler hatte keinen der äußerlich auffälligen Tickmerkmale eines Zwangsneurotikers. Er aß unnatürlich langsam, als wolle er das Essen so weit wie möglich in die Länge ziehen. Das erschien Tony als eine recht gute Strategie, um die Zeit herumzubekommen.
Als Aidan Hart leise auf dem Stuhl neben Tony Platz nahm, war Tyler gerade bei den letzten paar Bissen. »Ich hatte nicht erwartet, dass Sie heute kommen«, sagte er.
»Geht schon in Ordnung, ich werde es nicht als Überstunden verrechnen«, sagte Tony.
»Es gibt besseres Essen im Restaurant fürs Personal, wie Sie ja wissen.«
»Ich weiß. Aber ich wollte mir einen Patienten anschauen.«
Hart nickte. »Derek Tyler.« Als er Tonys Überraschung bemerkte, sagte er: »Die Wärter haben es mir gesagt, als ich reinkam. Was interessiert Sie an ihm?«
»Die Polizei von Bradfield hat gestern Abend ein Mordopfer entdeckt. Man hat mich gebeten, in dem Fall als Berater mitzuwirken.« Als er die Polizei erwähnte, spitzte Hart die Ohren, und seine Augen leuchteten vor Wissbegierde. Tony nahm an, dass er mit seiner ersten instinktiven Einordnung Aidan Harts als definitivem Karrieremacher richtig gelegen hatte. Das fehlte ihm gerade noch. Wieder mal waren diplomatische Winkelzüge im Berufsleben erforderlich, die ihm so gar nicht lagen. Er würde sehr vorsichtig vorgehen müssen. »Oberflächlich betrachtet sieht es aus, als handele es sich um eine Nachahmung von Derek Tylers Morden.«
Hart fuhr sich über sein
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