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Toedliche Worte

Toedliche Worte

Titel: Toedliche Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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außer dass sie eine Frau war. Aber das Verbrechen hatte der Prostituierten eine Art Verwandtschaft mit ihr verliehen, die ihr nun die Verantwortung dafür auflud, ihren Mörder zu finden. Beide waren in einer Welt, wo sie von manchen Männern, die es für selbstverständlich hielten, sich nie machtlos zu fühlen, in eine Opferrolle gedrängt worden waren, nur weil sie Frauen waren. Sandie hatte das, was ihr zugestoßen war, genauso wenig verdient wie Carol.
    Diese trank langsam ein Glas nach dem anderen und goss immer schon nach, wenn das Glas erst halb leer war. Sie wusste genau, welche schreckliche Angst Sandie gehabt haben musste, als ihr klar wurde, dass sie ihrem Peiniger nicht entkommen konnte. Denn sie kannte dieses Gefühl äußerster Hilflosigkeit, kannte die Furcht des Opfers, das sich gegen den Angreifer nicht verteidigen kann. Aber in einem wichtigen Aspekt hatte Sandie mehr Glück gehabt als Carol. Sie hatte keine Möglichkeit finden müssen, irgendwie mit dem weiterzuleben, was ihr angetan worden war.

    Tony stand neben Carol und blickte auf das Gesicht der toten Sandie Foster. Bei Obduktionen dabei zu sein machte ihm nichts aus. Wenn er ehrlich war, faszinierte es ihn, den Pathologen dabei zu beobachten, wie er die Botschaften aufdeckte, die von den Toten ausgingen. Tony selbst konnte auch vieles von den Leichen ablesen, aber da handelte es sich um einen anderen Text. Beide hatten jedoch gemeinsam, dass sie über das Opfer zum Mörder Kontakt bekamen.
    Die Leiche lag unter dem Lichtkegel einer Halogenlampe, um den herum sich ein Schattengewirr im Raum ausbreitete. Der Pathologe Dr. Vernon beugte sich über die Leiche, die ein grausiges Beispiel für Kontrastwirkung bot. Sandies Körper war unterhalb der Taille immer noch blutverkrustet, eine Studie in Rot. Oberhalb der Körpermitte war sie offenbar völlig unverletzt. Die Plastiktüten, die über ihre Hände gezogen waren, verdeckten teilweise die blauen Flecken an ihren Handgelenken und hielten so die Illusion der Unversehrtheit aufrecht. »Unterernährt«, sagte Vernon. »Zu leicht für ihre Größe. Zeichen von Drogenmissbrauch durch Spritzen …« Er zeigte auf die Nadeleinstiche an ihren Armen.
    Dann beugte er sich vor und öffnete vorsichtig ihren Mund. »Leichte Prellung an der Innenseite des Mundes. Sehr wahrscheinlich verursacht durch den Knebel, den wir entfernt haben. Einige Hinweise auf langjährigen gewohnheitsmäßigen Missbrauch von Amphetaminen.«
    »Ich weiß, Sie haben es gar nicht gern, gedrängt zu werden«, sagte Carol. »Aber können Sie mir schon irgendetwas zur Todesursache sagen?«
    Vernon wandte sich ihr zu und lächelte kühl. »Ich sehe, Sie sind in der Zeit, die Sie nicht bei uns waren, kaum geduldiger geworden, Carol. Bis jetzt sehe ich nichts, was den offensichtlichen Fakten widerspricht. Sie ist infolge von Verletzungen der Vagina verblutet. Das Gewebe ist an der Stelle bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt. Kein angenehmer Tod.«
    »Sie ist nicht schnell gestorben?«, fragte Carol. Tony spürte die Angst, die von ihr ausging. Außerdem roch er ihre Fahne. Er hatte selbst nur vier Stunden geschlafen und konnte nur mutmaßen, wie viel weniger Schlaf Carol zwischen das Leeren der Flasche und die Obduktion hatte quetschen können. Dass es nicht genug war, sah man jedenfalls an den dunklen Ringen unter ihren Augen.
    Vernon schüttelte den Kopf. »Nein. Keine arterielle Blutung. Es war ein langsames Verbluten. Sie hat wahrscheinlich noch eine Stunde oder länger gelebt, hatte schreckliche Schmerzen und stand unter Schock.«
    Nach dieser Mitteilung entstand ein langes Schweigen. Tony hoffte, dass Carol sich Sandies Qualen nicht allzu detailliert vorstellte.
    Dann rief er sich selbst zur Ordnung. Er musste aufhören, sich die ganze Zeit auf Carol zu konzentrieren. Schließlich hatte er eine Aufgabe, und obwohl diese leichter zu lösen sein mochte, wenn er Carol damit persönlich helfen konnte, musste er doch genug Abstand wahren, um das tun zu können, wofür er bezahlt wurde. Es war niemals leicht, die Psyche eines Mörders auszuloten, und er konnte es sich nicht leisten, sich eine so gute Gelegenheit für einen Ansatz entgehen zu lassen.
    Ein langsamer, qualvoller Tod. »Er hat ihr beim Sterben zugesehen«, sagte er leise.
    Carols Kopf fuhr herum. »Was?«
    »Das ist der einzige Sinn, den ein hinausgezögerter Tod haben kann. Der Mörder will das genießen, was er vollbracht hat. Bestimmt hat er es auch aufgezeichnet.

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