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Toedliche Worte

Toedliche Worte

Titel: Toedliche Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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sah, war ihr persönlich eigentlich egal, aber sie begriff, wie wichtig die Aufmachung war. Ihr knapper Rock, ihr rückenfreies Oberteil und ihre kniehohen Stiefel, alles war schicker als die Klamotten der meisten Mädchen auf der Straße. Sie schätzte, sie konnte es sich deshalb leisten, so viel zu verlangen und die meisten ihrer Freier hierher zu bringen, statt sich mit ihnen in Ladeneingängen abzugeben und beim Blasen auf dem Rücksitz von Autos auf und ab zu hoppeln. Ungeduldig wandte sie sich ab und warf ihre Tasche aufs Bett. Sie setzte sich auf den Bettrand und fragte sich, ob sie die Stiefel ausziehen solle oder ob er sich selbst darum kümmern wollte. Er bezahlte schließlich gut. Er verdiente es, das Beste zu bekommen, was sie für ihn tun konnte.
    Ein zögerndes Klopfen ließ sie wieder aufstehen. Sie riss heftig an der Tür, die immer klemmte, und musterte ihn von oben bis unten mit hämischem und amüsiertem Blick. »Na, dann komm, die Uhr läuft schon«, sagte sie, drehte ihm den Rücken zu und ging schnurstracks aufs Bett zu. »Ich geb mich nicht mit Männern ab, die den ganzen Abend brauchen.«

    Sobald Tony eingetreten war, wählte er Carols Nummer. »Wer ist die Stimme, Derek?«, fragte er geistesabwesend, während er auf das Klingeln horchte.
    »Carol Jordan«, sagte sie unvermittelt.
    »Wer ist die Stimme, Carol«, fragte er ohne Einleitung. »Es macht keinen Sinn. Keine der gewöhnlichen Stimmen passt.«
    »Nett, mit dir zu reden, Tony«, sagte sie müde und etwas sarkastisch.
    »Die Sache mit den Stimmen ist so ähnlich wie die Rückkehr in ein früheres Leben.«
    »Wie bitte?«
    »Wenn Leute in ein früheres Leben zurückkehren, sind sie nie Stalljunge oder Müllersbursche gewesen. Sie waren immer Kleopatra oder Heinrich VIII. oder Emma Hamilton. Mit Menschen, die Stimmen hören, ist es genauso. Sie hören nicht den Milchmann oder die Frau, die jeden Morgen hinter ihnen im Bus sitzt. Sie hören die Jungfrau Maria oder John Lennon oder Jack the Ripper.«
    »Na ja, man kann sich schwer vorstellen, dass der durchschnittliche Milchmann detaillierte Anweisungen für Sexualmorde gibt«, sagte Carol trocken.
    Tony schwieg einen Moment. Er grinste. »Du meinst also, es ist wahrscheinlicher, dass die Jungfrau Maria hinter so was steckt?« Carol kicherte. Tony durchfuhr ein Gefühl von Stolz. Er hatte etwas sehr Normales, Menschliches getan. Er hatte sie zum Lachen gebracht. Fast hatte er schon vergessen, wie gern er ihr Lachen hörte, so lange war es her. »Aber trotzdem«, fuhr er fort und überspielte damit seinen kurzen Ausfall aus dem professionellen Rahmen, »was ich sagen wollte, ist, dass es um grandiose Stimmen geht. Sie sind lebendig im Kopf der Person, die sie hört, und sie sind dynamisch. Abhängig von den Umständen, ändert sich das, was sie sagen. Man braucht nicht für Ruhe zu sorgen. Ruhe ist nicht nötig, Geräusche stören die Stimme nicht. Sie lässt sich einfach hören, wenn sie will, wann immer es passt. Na ja, wenn es der Person passt, die die Stimme hört; normalerweise ist es für die anderen Menschen nicht passend«, fügte er hastig hinzu.
    »Und du behauptest, Derek Tylers Stimme sei nicht so?«
    »Genau das will ich sagen. Es ist, als hätte er Angst, dass sie ihm abhanden kommt. Angst, dass sie sich in anderen Geräuschen verliert. Noch nie habe ich so etwas angetroffen, weder im Leben, noch in der Fachliteratur. Es ist, als ob …« Er schüttelte den Kopf. »Ich muss noch mal recherchieren. Es muss doch etwas dazu geben in der Literatur … Es sei denn, wir hätten es hier mit einem total neuen Gebiet zu tun.« Er verstummte.
    »Tony?«
    »Ich rufe dich an. Jetzt muss ich darüber nachdenken. Danke, dass du mir zugehört hast.« Ihre Antwort kam nicht mehr an, weil er schon aufgelegt hatte. So etwas wie Derek Tylers Stimme war ihm noch nie begegnet. Wenn sie alle Regeln brach, war es vielleicht an der Zeit für ihn, das auch zu tun. Statt mit Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten, sollte er vielleicht das völlig Unwahrscheinliche in Betracht ziehen. Er lief nach oben in sein Arbeitszimmer und murmelte: »Sechs unmögliche Dinge schon vor dem Frühstück.«

    DS Kevin Matthews stand hinter dem Empfangstisch des Woolpack Hotels mit dem Notizbuch in der Hand. Hinter dem Tisch war nicht viel Platz, und das bedeutete, dass er dem heruntergekommenen Individuum, das sich als Jimmy de Souza vorstellte und am Empfang Nachtdienst hatte, unangenehm nahe kam. Trotz des Gestanks von

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