Toedliche Worte
Sie es versuchen?«
Carol hielt ihre Handgelenke unter den kalten Wasserstrahl und versuchte, sich nach der Bestandsaufnahme mit Brandon im wahrsten Sinn des Wortes abzukühlen. Sie hatte Brandon für einen vernünftigen Vorgesetzten gehalten, für jemanden, der nicht vergessen hatte, wie die Arbeit draußen vor Ort ablief. Aber heute hatte sie sich demoralisiert und energielos gefühlt, und sie wusste, er war von ihrer Leistung enttäuscht. Sie konnte ihm daraus keinen Vorwurf machen, sie war ja selbst unzufrieden.
Immerhin war es ihr gelungen, Brandon zu überreden, die Gelder nicht zu kürzen und die Sandie-Foster-Ermittlung nicht ausschließlich von ihrem eigenen kleinen Team weiterführen zu lassen. Sie konnte also auf andere Kollegen zurückgreifen, falls sie etwas für sie zu tun hatte. Aber es war bitter, seine Frustration zu sehen, die ihre eigene widerspiegelte, und keine Schritte vorschlagen zu können, die Abhilfe schaffen würden. Sie wusste, dass einer der Gründe für ihren Erfolg als Kripobeamtin ihre Fähigkeit war, unorthodox zu denken, einen Ansatz zu finden, der sonst niemandem eingefallen war. Aber bei diesen beiden Fällen hatte sie das Gefühl, in den Bahnen konventioneller Überlegungen festzustecken und nicht über den Tellerrand sehen zu können.
Und die Begabung, die der Grund ihres früheren Erfolgs gewesen war, hatte sich für sie in einen Fluch verwandelt. Carol besaß die perfekte Fähigkeit, Gespräche wörtlich zu erinnern. Damit hatte sie in Vernehmungen Spitzenergebnisse erzielt, denn sie konnte ihre Opfer in den Schlingen ihrer eigenen Worte zu Fall bringen. Aber heutzutage hatte das Band, das ständig in ihrem Kopf ablief, oft nichts mit der gerade vorliegenden Arbeit zu tun. Sie musste sich so anstrengen, die Teile des Dialogs zu verdrängen, die gegen ihren Willen immer wieder hochkamen, dass sie keinen Raum für die Eingebungen ihres Unterbewusstseins hatte, die sie vielleicht tatsächlich hätten weiterbringen können.
Carol legte die Stirn gegen den kühlen Spiegel und schloss die Augen. Was würde sie jetzt für ein Glas Wein geben.
Die Tür der Damentoilette flog geräuschvoll auf, und Paula stürmte herein. Carol richtete sich blitzschnell auf und sah die bestürzte Miene ihrer Mitarbeiterin im Spiegel. »Hi, Paula«, sagte sie müde. Paula war bei der Besprechung an diesem Morgen noch zurückhaltender gewesen als sonst. Carol versuchte es nicht persönlich zu nehmen und wollte sich einreden, dass Paula zu allen kratzbürstig gewesen sei. Aber es gelang ihr nicht.
»Chefin«, sagte Paula und zögerte auf dem Weg zur Kabine, »wie ist die Bestandsaufnahme gelaufen?«
Carol nahm sich zusammen und gab sich den Anschein gelassener Autorität. Dies war, wie sie wusste, gegenüber einer Mitarbeiterin nötig, die schon nahe daran war, sie abzuschreiben. »Wie erwartet. Niemand ist besonders glücklich mit dem deutlichen Mangel an Fortschritt in zwei kostspieligen Ermittlungen. Aber wenigstens reduzieren sie noch nicht unsere Mittel.« Carol wollte Paula vorbeilassen und ging auf die Tür zu. Aber Paula war noch nicht fertig.
»Ich habe die Tim-Golding-Akte noch einmal durchgesehen«, sagte sie, und schon ihre Körpersprache zeigte an, dass sie in der Defensive war.
»Ist Ihnen etwas aufgefallen?« Carol versuchte so neutral wie möglich zu klingen.
»Dieses Foto, Chefin. Ich weiß nicht viel über Felsen und solche Sachen, aber der Hintergrund scheint mir ziemlich charakteristisch. Ich habe mich gefragt, ob es etwas bringen würde, das Bild des Jungen herauszunehmen und Zeitschriften für Bergsteiger und Wanderer zu bitten, es zu drucken, damit man sieht, ob jemand die Gegend auf dem Bild wiedererkennt.«
Carol nickte. Früher wäre ihr das eingefallen. Jetzt waren ihre Gedanken durch zu viele schlechte Erinnerungen vernebelt. Und durch zu viel Wein, murmelte eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf. »Gute Idee, Paula. Bitten Sie Stacey, etwas auszuarbeiten, und die Presseabteilung soll es dann so bald wie möglich rausschicken.« Carol war schon zwei Schritte auf die Tür zugegangen, als etwas in Paulas Worten eine schwache Erinnerung wachrief. Sie drehte sich halb zu Paula um, als diese schon die Klotür aufstieß. »Paula? Was wissen Sie über forensische Geologie?«
Paula schien verwirrt. »Forensische Geologie? Davon hab ich noch nie etwas gehört, Chefin.«
»Vor ein paar Monaten kam etwas im Radio darüber. Ich habe nicht richtig aufgepasst, aber es war auf
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