Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toedliche Worte

Toedliche Worte

Titel: Toedliche Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
konnte, wenn es galt, einen schwierigen Kunden davon abzuhalten, dass er gefährlich wurde und ausrastete. Deshalb schien die Aufgabe, die Tony Hill ihm gegeben hatte, weniger eine Bürde als vielmehr eine Herausforderung, der er gewachsen zu sein glaubte.
    In Bradfield Moor eingesperrt, niedergedrückt von der Last seiner Schuld und der Angst vor dem unbekannten Fremdkörper, der sein Gehirn zerstörte, hatte er sich zu zerstreuen versucht, indem er die anderen Insassen beobachtete. Es half ihm, seine Psyche unter Kontrolle zu halten, wenn er außer seiner selbst etwas hatte, auf das er sich konzentrieren konnte. Natürlich waren die, denen man eine gewisse Bewegungsfreiheit ließ, zugleich die, die man in dem Sinne als ungefährlich betrachtete, dass sie nicht mit einer spitzen Gabel Amok laufen würden: die Zwangsneurotiker, die hauptsächlich eine Gefahr für sich selbst darstellten, die Schizophrenen, die man medikamentös besänftigt hatte, und die Manisch-Depressiven, die man mit Hilfe von Lithium eingestellt hatte. In gewisser Hinsicht waren sie für ihn interessanter als die Gewalttätigen. Tom fand es leichter zu verstehen, dass sie als kleine Rädchen im Getriebe der Normalität funktioniert hatten. An die mit gestörter Persönlichkeit mochte er nicht denken. Im Laufe seines Berufslebens hatte er so viele Psychopathen mit gestörtem sozialem Verhalten gesehen, dass es ihm für den Rest seiner Tage reichte.
    Als Tony Derek Tyler beschrieb, hatte Storey sofort gewusst, wen er meinte. Seine Lethargie und sein Schweigen hatte er hauptsächlich deshalb bemerkt, weil es sonst so wenig Stille in der Anstalt gab. Selbst die, die man bis obenhin mit Medikamenten abgefüllt hatte, waren meistens ruhelos. Aber Tylers Existenz schien sich in einer kleinen Oase der Ruhe abzuspielen. Allerdings war er alles andere als gelassen, sondern strahlte so viel Spannung aus, dass er andere unsicher machte.
    Außerdem beteiligte er sich an gar nichts. Das war auch etwas, das ihn heraushob: Er zeigte kein Interesse an geselligen Veranstaltungen, und seine passive Abwehrhaltung gegenüber allem, was auch nur annähernd gemeinsamer Gruppenarbeit glich, war eindrucksvoll, umso mehr deshalb, als Storey vermutete, er sei nicht übermäßig intelligent.
    All dies machte ihn leicht erkennbar, aber es war schwierig, zu ihm durchzudringen. Es war kein einfaches Unternehmen, das Tony Hill ihm da aufgetragen hatte. Storey hatte den größten Teil des Tages damit zugebracht, Tyler insgeheim zu beobachten, wann immer er die Gelegenheit dazu hatte, und er versuchte dabei eine Möglichkeit auszuhecken, wie er den Panzer knacken könnte. Aber ihm fiel nichts ein.
    Am frühen Abend, als die meisten derjenigen, die bei klarem Verstand waren und ihre Zimmer verlassen durften, im Fernsehen Seifenopern sahen, entdeckte er Tyler, der allein am Tisch in der Ecke des Tagesraums saß. Spontan holte sich Storey eines der Puzzles, die auf den Bücherregalen aufgestapelt waren, und ging zu Tylers Tisch hinüber. Ohne zu fragen setzte er sich und versuchte mühsam, die Schachtel mit einer Hand aufzubekommen, schaffte es aber schließlich. Er kippte die Puzzlestücke aus und überlegte, wie viele von den 550 noch vorhanden und in Ordnung sein mochten.
    Keine Reaktion. Tyler schien sich immer mehr in sich selbst zurückzuziehen. Aber Storey sah, dass seine Blicke unwillkürlich zu dem Haufen ausgestanzter Pappstücke hingezogen wurden. Storey fing an, die Stücke unbeholfen zu sortieren, indem er zunächst die vom Rand und vom Himmel zusammensuchte. »Den leichtesten Teil und dann den schwersten«, sagte er. »Wenn man den Himmel beisammen hat, kommt es einem vor, als könnte man den Rest auch.«
    Tyler blieb stumm. Die Stille hielt weiter an, während Storey den Rand des Bildes zusammensetzte. Es war eine Alpenansicht, eine Seilbahn fuhr auf einen Berg, wo sich Wiesen bis zum schneebedeckten Gipfel hinaufzogen. Er machte ein paar absichtliche Fehler, aber Tyler reagierte nicht. Also korrigierte er sich und machte weiter.
    »Ich bin ziemlich gut aufgelegt heute Abend«, sagte er und achtete darauf, auf nichts anderes als das Puzzle zu sehen. »Ich muss operiert werden, aber ich glaube, dass ich danach entlassen werde.« Er sah zu Tyler hinüber. »Sie wissen, was ich gemacht habe, oder?« Höchstwahrscheinlich wusste er es. Obwohl das Anstaltspersonal sich sehr bemühte, die Patienten davon abzuhalten, dass sie über die früheren Vergehen der anderen

Weitere Kostenlose Bücher