Toedliche Wut
zersplittert in tausend Stücke. Blut spritzt auf die Ablage, als Irene Mast in sich zusammensackt. Mein Hals, meine rechte Schulter und meine Brust brennen höllisch.
Irene Mast liegt bewegungslos auf der Seite. Als ich zu ihr gehe, knirscht Glas unter meinen Füßen. Ich stupse sie mit der Schuhspitze an, doch sie gibt keinen Mucks von sich. Ihre Augen stehen zwar offen, doch sie ist nicht ganz da, hat von dem Schlag eine fingergroße Wunde direkt am Ohr.
Mit zittriger Hand greife ich nach den Handschellen an meinem Gürtel, doch sie sind weg. Ich blicke mich nach etwas um, mit dem ich ihre Hände fesseln kann, und sehe das Handtuch auf dem Boden. Mit Hilfe der Zähne reiße ich es in drei Streifen, verknote sie miteinander, knie mich neben Irene Mast, drehe sie auf den Bauch und binde ihr die Hände auf dem Rücken zusammen. Dabei behalte ich die Kellertür im Auge, denn Perry Mast könnte jeden Moment hereingestürmt kommen. Noch so eine Runde würde ich wohl nicht durchstehen.
Ich richte mich auf, bedenke die amische Frau mit einem letzten Blick. »Nicht weggehen«, murmele ich, nehme das Gewehr und mache mich auf zur Hintertür.
Im Vorraum wähle ich erneut die Notrufnummer. Ich stelle mich neben das Fenster, schiebe die Gardine mit der Gewehrmündung zur Seite und sehe hinaus, bemerke zwei Dinge auf einmal: Mein Explorer ist weg, stattdessen steht ein Streifenwagen vom Trumbull County auf seinem Platz. Aber wo zum Teufel steckt der Deputy?
»Polizei, wie kann ich Ihnen helfen?«
Erneut nenne ich meinen Namen, teile ihr mit, dass der Streifenwagen zwar hier ist, der Deputy aber nirgends zu sehen. »Womöglich hat es ihn erwischt. Perry Mast ist mit einem Gewehr bewaffnet und schießt auf Polizisten.«
»Verstanden. Warten Sie.«
Der Streifenwagen ist zu weit weg, ich kann nicht sehen, ob der Deputy drin sitzt, verletzt oder schlimmer. Er könnte aber auch in der Scheune oder einem der anderen Nebengebäude nach mir suchen. Es sei denn, Mast hat auf ihn geschossen …
Ich blicke auf das Gewehr in meinen Händen, eine alte Winchester mit Röhrenmagazin, wo man nicht sieht, wie viel Munition noch drin ist. Beim Durchladen schiebt sich jeweils eine Kugel in den Schusskanal, ich zähle also besser mit.
»Ein weiterer Deputy ist auf dem Weg«, sagt die Frau in der Notrufzentrale.
»Wann ist er hier?«
»In sechs Minuten.«
Das ist für einen Notruf in dieser ländlichen Gegend ausgesprochen schnell. Andererseits kann in sechs Minuten eine Menge passieren.
Ich werfe einen weiteren Blick durchs Fenster. Der Hof zwischen Haus und Scheune liegt verlassen da, kein Deputy, kein Perry Mast. Es macht mich nervös, dass ich nicht weiß, wo Mast ist. Er würde nur wenige Minuten brauchen, um im Tunnel kehrtzumachen und durch den Schlachtschuppen rauszukommen. Er könnte also überall sein.
Ich öffne die Haustür und trete hinaus in einen feinen Nieselregen. Trotz des Gewehrs im Anschlag fühle ich mich ungeschützt, laufe geduckt die Verandatreppe hinunter und weiter zum Streifenwagen. Die Scheinwerfer und Scheibenwischer sind an, aber der Motor ist aus. Ich bin noch etwa sechs Meter entfernt, als ich die Blutspritzer am Beifahrerfenster sehe, nach weiteren drei Metern erkenne ich die Umrisse des Deputy. Er liegt mit dem Oberkörper auf dem Lenkrad, die Mütze noch auf dem Kopf.
»Scheiße«, murmele ich. » Verdammte Scheiße! «
Die Scheune und den Schlachtschuppen behalte ich im Auge und ziehe an der Beifahrertür, doch sie ist verschlossen. Ich schleiche vorne um den Wagen herum. Die Haube ist noch warm, der abkühlende Motor knistert leise. Auf der Fahrerseite ist das Fenster zersplittert, Blut und Glas bedecken die Schulter des Deputy, die Kopfstütze und den Ärmel seines Uniformhemdes.
Ich greife durch das kaputte Fenster, entriegele die Tür und ziehe sie auf. Die Arme des Deputy hängen am Körper herab. Das Lenkrad und seine Hose sind blutverschmiert. Glassplitter glitzern auf dem Sitz. Was für ein fürchterlicher Anblick.
»Deputy«, flüstere ich. » Deputy , können Sie mich hören?«
Keine Reaktion.
Der Geruch von Blut steigt mir in die Nase, als ich ihm die Mütze abnehme. Von seiner linken Gesichtshälfte ist nicht mehr viel übrig. Die Kugel ist in seinen Kiefer eingedrungen, hat mehrere Zähne zertrümmert und die Wange größtenteils weggerissen, ebenso die Zunge. Das Ohr ist voller Blut, das noch immer auf seinen Hemdkragen tropft. Noch bevor ich den Finger auf seine Halsschlagader
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