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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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hören, und mir wird klar, dass Irene Mast gerade Gemüse einmacht. Genau so, wie es meine Mamm in meiner Kindheit Hunderte von Malen tat.
    Ich spähe zur Tür hinein. Irene Mast steht mit dem Rücken zu mir am Herd. Der Wasserhahn läuft. Sie hat ein Handtuch in der linken Hand, ein weiteres über der Schulter und stellt gerade den Einsatz mit Gläsern in den großen Einkochtopf.
    Der Anblick hat etwas so Harmloses, dass ich ihn nicht mit dem zusammenbringen kann, was ich gerade da unten im Tunnel erlebt habe. Ich stehe wie angewurzelt da und frage mich, ob sie von den Mädchen weiß, die dort unten gefangen gehalten werden? Ist das allein Perry Masts dunkles Geheimnis? Oder macht sie einfach nur die Augen zu, weil sie die Wahrheit nicht ertragen kann?
    Sie ist so in ihre Arbeit vertieft, dass sie mich nicht eintreten hört. Der Deputy kann unmöglich schon eingetroffen sein, sonst würde sie bestimmt nicht hier stehen und Tomaten einmachen. Sie wäre draußen auf dem Hof und müsste sich verstörende Fragen anhören, über verschwundene Mädchen und wie ihr Mann seine freie Zeit verbringt.
    Ich will gerade ihren Namen sagen, als ich das Repetiergewehr sehe, ein altes .22er mit zerkratztem Holzschaft und angerostetem Lauf. Die Nackenhaare sträuben sich mir, als eine kleine Stimme in mein Ohr flüstert: Sie weiß Bescheid .
    Ich bin noch knapp vier Meter von ihr entfernt. Sie hat das Gewehr in Reichweite an den Schrank gelehnt, braucht sich nur vorzubeugen und es zu nehmen. Ich schätze die Entfernung zur Hintertür ab, ob ich es dorthin schaffen kann, bevor sie mir in den Rücken schießt.
    Da dreht Irene Mast sich um. Unsere Blicke treffen sich, doch ihr Gesicht bleibt unverändert – es drückt weder Schock noch Schuld aus, weder Angst noch Wut. Es kommt mir vor, als hätte sie die ganze Zeit von meiner Anwesenheit gewusst. In ihren Augen lese ich eine eiskalte Entschlossenheit, die mein Blut gefrieren lässt. Und ich weiß, dass sie an allem beteiligt ist – und ich schnell handeln muss, oder sie erschießt mich.
    »Rühren Sie sich nicht vom Fleck«, sage ich. »Lassen Sie die Hände da, wo ich sie sehen kann.«
    Unbeeindruckt und mit der Ruhe einer Frau, die einen Besen zur Hand nimmt, um den Boden zu fegen, streckt sie den Arm nach dem Gewehr aus …
    Ich mache einen Hechtsprung, packe den Lauf in dem Moment, als sie die Mündung auf mich richten will, und zerre das Gewehr zu mir hin. Gleichzeitig versuche ich, ihr das Knie in den Bauch zu rammen, doch die Entfernung zwischen uns ist zu groß. Sie ist eine schwere Frau, steht fest wie ein Felsen und verliert nicht das Gleichgewicht, verzieht lediglich den Mund, als sie mir die Waffe entreißen will. Ich stolpere vorwärts, und jetzt stehen wir uns gegenüber, jede versucht wie beim Tauziehen mit beiden Händen die Waffe unter ihre Kontrolle zu bringen. Ihr Gewicht kommt ihr zugute, doch ich bin jünger und für solche Kämpfe ausgebildet. Ich drücke das Gewehr mit aller Kraft nach oben, wobei der Schaft sie am Kinn streift und ihre Zähne zusammenknallen. Knurrend macht sie einen Schritt nach vorn und wirft sich gegen mich, ich verliere kurz die Balance, fange mich aber schnell und treffe sie im Gegenzug mit dem Schaft so hart an der Wange, dass die Haut aufplatzt.
    Ein kehliger Laut entweicht ihrem Mund, dann zerrt sie wieder am Gewehr. Ich erhasche einen Blick in ihre Augen. Die Wut, die mir darin entgegenschlägt, ist zutiefst verstörend. Plötzlich fängt sie an, mich mit der Waffe nach hinten zu schieben. Ich stoße an den Tisch, dessen Beine übers Linoleum kratzen, drehe das Gewehr, aber sie lässt es nicht los. Als sie mir nah genug ist, stoße ich ihr das Knie in den Unterleib.
    Der Laut, den sie von sich gibt, ist halb Schmerz und halb Schrei, sie lässt die Waffe los und torkelt rückwärts gegen den Herd.
    »Keine Bewegung!«, brülle ich. » Bleiben Sie, wo Sie sind! «
    Ich checke gerade, ob eine Kugel in der Kammer ist, als sie sich zum Herd rumdreht.
    »Ich schieße!«, brülle ich. »Runter auf den Boden!«
    Mit einer einzigen Bewegung reißt sie den Topf vom Herd, wirbelt herum und schleudert ihn mir entgegen. Gläser klirren, und kochend heißes Wasser schwappt mir auf Gesicht, Hals und Kleider. Mein Adrenalinpegel ist viel zu hoch, um den Schmerz zu spüren. Ich schwinge das Gewehr wie ein Schlagholz und treffe sie mit voller Wucht an der Schläfe, und sie fällt um.
    Irgendwo hinter mir knallt ein Einweckglas auf den Boden und

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