Toedliche Wut
meine Knie weich werden. Die Fahrstuhlmusik nehme ich nur noch gedämpft wahr, dafür pocht mein Herz umso lauter. Ich spüre vage die Aufwärtsbewegung des Fahrstuhls, dafür deutlich den festen Druck seiner Lippen auf meinem Mund, schmecke Pfefferminz und Kaffee und den Mann, der mir seit Wochen fehlt. Ich will gerade die Arme um ihn schlingen, als er zurücktritt und mich ansieht. »Willkommen in Richfield«, sagt er leise.
»Eine wirklich professionelle Begrüßung.« Mein Lachen klingt nervös, meine Stimme atemlos und dünn. »Es gibt hier im Aufzug nicht zufällig Überwachungskameras, oder?«
»Ich hab’s überprüft.«
»Dann war das also geplant.«
»Aber oben im Flur gibt’s Kameras.«
»Falls ich das Bedürfnis verspüre, mich auf dich zu werfen.«
»Dem zu widerstehen dir sicher nicht leichtfallen wird.«
Wir lächeln uns an, dann gehen die Türen auf, und mir bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken, was das gerade war. Mit noch immer klopfendem Herzen trete ich hinaus in den hell erleuchteten Flur mit den etwa ein Dutzend Türen, die größtenteils offen sind. Am Ende des Flurs bleibt Tomasetti vor einer Tür mit einem Messingschild »KONFERENZRAUM 1« stehen.
»Ich versuche, das Ganze so schnell wie möglich hinter uns zu bringen«, sagt er.
Ich wische meine feuchten Handflächen an der Hose ab. »Ich versuche, nicht so auszusehen, als wäre ich gerade im Aufzug überfallen worden.«
Er wirft mir einen Seitenblick zu, dann treten wir in den Konferenzraum. An einem schweren Eichentisch sitzen zwei Männer und eine Frau. Ihre Blicke streifen kurz Tomasetti und bleiben dann an mir hängen, neugierig, abschätzend, einschüchternd – sie beurteilen mich aufgrund von Aussehen und Verhalten. Ich kenne die Nummer, habe sie über die Jahre selbst bei vielen Neulingen angewandt. Die beiden Männer sind Polizisten, das sehe ich sofort: billige Anzüge und Blicke, die ein bisschen zu direkt sind. Die Frau ist Anfang dreißig, gut gekleidet, teurer Schmuck, manikürte Fingernägel. Sie arbeitet vermutlich in der Verwaltung, hält sich aber lieber bei den Herren auf.
Tomasetti verliert keine Zeit. »Das ist Chief of Police Kate Burkholder«, stellt er mich vor.
Die Männer stehen auf. Ein hochgewachsener, schlaksiger Mann mit blauen Augen und rotgeäderter Knollennase hält mir die Hand hin. »Ich bin Lawrence Bates, Deputy Superintendent.« Mit verschwörerisch gesenkter Stimme fügt er hinzu: »Was im Prinzip heißt, dass ich Tomasetti fast jeden Tag ertragen muss.«
Ich grinse; er gefällt mir. »Tougher Job.«
Er lacht verhalten. Ich wende mich dem zweiten Mann zu. Sein Händedruck ist etwas zu fest und zu feucht. »Denny McNinch.«
In McNinchs Blick liegt etwas Berechnendes, und sein Gesichtsausdruck verrät psychische Anspannung – die vielleicht sogar mit Tomasetti zu tun hat. Insgesamt wirkt er mitgenommen, aber nicht im physischen Sinne. Ich bin ziemlich sicher, dass er viel Zeit im Außendienst verbracht hat, bevor er hinter einem Schreibtisch gelandet ist. »Schön, Sie kennenzulernen«, sage ich.
»Denny kommt aus Columbus«, erklärt Tomasetti.
Aha, denke ich, das ist es also. Tomasetti war von Cleveland nach Columbus versetzt worden, wo er von Anfang an Probleme hatte und beinahe gefeuert worden wäre. Wenn McNinch ebenfalls in Columbus war, weiß er darüber Bescheid. Und so wie er mich anstarrt, fragt er sich vielleicht, ob zwischen mir und Tomasetti etwas läuft. Aber vielleicht hab ich auch einfach nur ein schlechtes Gewissen.
»Willkommen an Bord, Chief Burkholder«, sagt er und lässt meine Hand los.
Bates leitet die Besprechung und beginnt ohne lange Vorrede. »Wir freuen uns, Sie bei uns zu haben, Chief Burkholder. John hat Ihnen die Situation sicher schon erklärt.«
Ich nicke. »Inzwischen wird wohl noch eine dritte Person vermisst.«
»Richtig. Wir haben einen Anruf der Polizei in Buck Creek bekommen«, sagt Bates. »Da ich weiß, dass Sie schnell loslegen wollen, halten wir das hier kurz.«
McNinch sieht zu der Frau am Tisch. Sie war die ganze Zeit sitzen geblieben, hatte aber seit meinem Eintreten den Blick nicht von mir gewendet. »Das ist Paige Wilson, meine Assistentin. Sie hat ein paar Formulare vorbereitet, die Sie bitte unterzeichnen wollen, Chief Burkholder, damit Vater Staat nichts auszusetzen hat.«
»Nennen Sie mich Kate.«
Nickend zeigt er auf die Papiere. »Wir zahlen ein kleines Tagesgeld, plus Kilometergeld, und erstatten die Auslagen.«
Die
Weitere Kostenlose Bücher