Toedliche Wut
hat.«
»Hassdelikte sind vermutlich immer irrational«, sagt Bates und kratzt sich am Kopf. »Aber Hass auf die Amischen? Sie scheinen mir doch ziemlich gute Nachbarn zu sein.«
»Trotzdem gibt es Menschen, denen ihre Religion missfällt und die sie für Fanatiker oder eine Art Kult halten. Andere können sie wegen der Buggys nicht leiden, weil sie damit den Verkehr behindern.« Ich zucke die Schultern. »Wer einen Grund sucht, wird ihn finden, und wahrscheinlich ist da draußen irgendwo ein Irrer, der genau das getan hat.«
»Hatten Sie schon einmal mit einer Entführung bei den Amischen zu tun?«
Ich schüttele den Kopf. »Gibt es Verdächtige?«
»Null.« Bates schüttelt seinerseits den Kopf.
»Irgendetwas bei einem der Tatorte?«, frage ich.
»Es gibt keine Tatorte«, antwortet Tomasetti. »Diese Jugendlichen sind im wahrsten Sinne des Wortes spurlos verschwunden. Wir wissen nicht, wo die Entführungen – falls es überhaupt welche waren – stattgefunden haben.«
Ich blicke wieder in die Akte. Ich bin von dem Rätsel wie gebannt. Ich will wissen, was passiert ist und warum. Ich will die Verantwortlichen finden und ihnen in die Augen sehen. Ich will sie aufhalten. Zur Rechenschaft ziehen. Doch auf der Gefühlsebene – geprägt von meiner amischen Herkunft und einer intimen Kenntnis ihrer Kultur – bin ich schockiert von der Tatsache, dass drei amische Teenager verschwunden sind, und ich habe Angst vor dem, was noch alles ans Tageslicht kommen kann. »Was ist mit den Vermissten? Gibt es noch andere Gemeinsamkeiten, außer dass sie amisch sind?«
»Wir haben noch keine gefunden, aber wie gesagt, wir sind noch dabei, Informationen zu sammeln«, erwidert McNinch.
»Unsere Analysten sehen sich momentan alles genau an«, fügt Tomasetti hinzu. »Sobald wir vor Ort sind, reden wir mit den Familien. Und dabei brauchen wir Ihre Hilfe.«
Ich nicke. »Die Familien werden unsere wichtigsten Informationsquellen sein. Und die Freunde.«
»Bis jetzt ist es uns noch nicht gelungen, Fotos von den Vermissten zu bekommen«, sagt Bates.
»Die wenigsten Amischen haben Fotos von ihren Kindern«, erwidere ich.
Er starrt mich unverwandt an, und mir wird klar, dass er nicht in Ohio aufgewachsen ist. »Die meisten Amischen lassen sich nicht fotografieren, weil darin eine eitle Zurschaustellung von Stolz zum Ausdruck kommt«, erkläre ich ihm. »Und manche der sehr konservativen Gemeindemitglieder gehorchen dem biblischen Gebot, nach dem keinerlei Abbild – nicht einmal ein Gemälde – von ihnen angefertigt werden darf.«
»Wir hatten die Officer der State Highway Patrol um Unterstützung gebeten«, sagt Bates, »und sie wollten Fotos, doch wir konnten ihnen lediglich Personenbeschreibungen geben.«
»Wenn die Eltern mitmachen, können wir Zeichnungen der Mädchen anfertigen lassen. Das ist zwar bei weitem nicht so hilfreich wie ein Foto, aber immerhin eine Alternative«, schlage ich vor.
»Sowie Sie das Okay der Eltern haben, schicken wir einen Polizeizeichner hin«, sagt Bates.
Tomasetti wirft demonstrativ einen Blick auf die Uhr, die wenig subtile Aufforderung an seine Vorgesetzten, die Besprechung schnell zu Ende zu bringen, damit wir losfahren können.
»Hat die örtliche Polizei schon mit den Eltern gesprochen?«, frage ich.
Tomasetti nickt. »Der Sheriff hat aber kaum etwas in Erfahrung bringen können. Die Eltern stehen wohl genauso vor einem Rätsel wie wir.«
McNinch fährt sich mit der Hand über den Kopf. »Das soll jetzt keine Kritik an Kleinstadtpolizisten sein, aber solche Dinge überfordern sie vermutlich, zumal Reviere auf dem Land meistens klein und unterbesetzt sind. Der Sheriff dort hat Staubsauger verkauft, bevor er Ordnungshüter wurde, das muss man sich mal klarmachen. Nichts für ungut, Kate, aber diese Leute haben meistens einfach nicht die Erfahrung, um Ermittlungen dieser Art durchzuführen.«
»Schon okay.« Ich lächele ihn an. »Nur zu Ihrer Information: Ich habe noch nie Staubsauger verkauft.«
McNinch lacht. »Dann sind Sie der Sache bestimmt gewachsen.«
Hoffentlich, flüstert meine innere Stimme.
4.
Kapitel
Kurz darauf sitzen wir in Tomasettis Tahoe und fahren auf dem Ohio Turnpike Richtung Osten nach Buck Creek, wo das letzte Mädchen verschwunden ist. Der Ort liegt nahe der Mosquito Creek Wilderness, einem Gebiet ungefähr eine Stunde von Richfield entfernt. Der Weg dorthin führt durch eine hübsche Landschaft mit kleinen Orten, Farmen und kilometerlangen
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