Toedliche Wut
innere Verletzungen davongetragen«, sage ich.
»Und es würde hier noch liegen«, sagt Tomasetti.
»Vielleicht hat derjenige es ja im Auto ins Krankenhaus gefahren«, wirft Goddard ein.
»Es gibt keine Bremsspuren«, sage ich.
»Vielleicht war es gar kein Unfall.« Tomasetti sieht den Sheriff an. »Haben Sie schon in den Krankenhäusern der Umgebung nachgefragt?«
Goddard nickt. »Meine Sekretärin überprüft das gerade.«
Plötzlich wird es ganz still um uns herum, wie aus ehrfürchtigem Respekt wegen der Gewalttat, die sich erst vor kurzem an diesem Ort ereignet hat.
Tomasettis Blick schweift suchend durch den umliegenden Wald. »Haben Sie genug Leute, um die ganze Gegend hier abzusuchen?«
»Ich kann wahrscheinlich ein paar Freiwillige zusammentrommeln.« Er zieht sein Mobiltelefon aus dem Gürtelclip, hält aber inne und zeigt auf die Reifenspuren. »Was halten Sie davon?«
Tomasetti geht in die Hocke und sieht sich das Reifenprofil von nahem an. »Wenn die Spurensicherung einen guten Abdruck hinkriegt, den wir einem Hersteller zuordnen können, sind wir vielleicht einen Schritt weiter.«
»Was glauben Sie, wie alt das Blut ist?«, fragt Goddard.
Tomasetti blickt zu den Baumkronen, um zu sehen, wie viel Sonne sie durchlassen. »Es ist sehr schattig hier und schwül. Sechs bis sieben Stunden, würde ich sagen.«
Der Sheriff nickt. »Ich kümmere mich um die freiwilligen Helfer.«
Tomasetti richtet sich wieder auf und stellt sich ein Stück weit weg an den Straßenrand. Dort holt er sein Mobiltelefon hervor, tippt eine Nummer ein und fängt an zu reden.
Ich versuche, mir ein mögliches Szenario vorzustellen, trete ein paar Schritte zurück und lasse den Ort auf mich wirken. Die Umhängetasche liegt etwas über einen Meter von der Blutlache entfernt auf dem unbefestigten Seitenstreifen. Mehrere noch in Blätter gehüllte Maiskolben sind herausgefallen und auf den Asphalt gerollt. Die Tasche ist aus handgemachtem Quilt mit amischen Motiven, und ich erinnere mich, dass meine Mamm früher auch so eine ähnliche zum Einkaufen besaß.
Ich hole einen Stift aus der Jackentasche, gehe neben dem Beutel in die Hocke und öffne ihn damit, um reinzuschauen, sehe grüne Paprika, einen weiteren Maiskolben und Tomaten, die in der Hitze matschig geworden sind. Ich stelle mich wieder auf. »Gibt es hier in der Nähe einen Gemüsestand?«, frage ich den Sheriff.
Er sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an, als wäre ihm gerade klargeworden, dass er daran selbst hätte denken sollen. »Die Yoders haben einen Verkaufsstand ein paar Meilen weiter unten an der Straße.«
»Haben Sie schon mit ihnen geredet?«
»Noch nicht«, gibt er kleinlaut zu. »Die haben ja kein Telefon.«
Das klingt nach Ausrede, und er weiß das. Aber ich lasse es gut sein, will ihm nicht auf die Füße treten, denn er wirkt durchaus kompetent und fähig. Trotzdem wundert es mich, dass er nicht selbst darauf gekommen ist.
Offensichtlich unzufrieden mit sich selbst, zieht er das Handy aus dem Gürtelclip. »Ich schicke einen meiner Deputys hin.«
Als Nächstes gehe ich um den Tatort herum, um mir die Details einzuprägen: Die genaue Stelle der Blutlache, die Entfernung der Tasche zum Blut, den Winkel der Reifenspuren.
»Haben Sie schon alles hier fotografiert?«, frage ich den Sheriff, nachdem er aufgelegt hat.
»Noch nicht.«
»Haben Sie überprüft, ob hier in der Gegend Sexualstraftäter gemeldet sind?«
»Meine Sekretärin ist gerade dabei.«
Einen Moment lang stehen wir schweigend da, dann frage ich: »Können Sie mir etwas über die Familie sagen?«
»Die Eltern des Mädchens heißen King, Edna und Levi. Sie sind Amische der Alten Ordnung, aber nette Leute. Ich glaube, inzwischen haben sie acht Kinder, Annie ist die Älteste. Heute Morgen gegen acht sind sie aufs Revier gekommen und haben erzählt, ihre Tochter sei gestern Abend nicht nach Hause gekommen.
Sie und ihre Nachbarn hatten die ganze Nacht nach ihr gesucht, aber irgendwann machten sie sich solche Sorgen, dass sie beschlossen, die Polizei einzuschalten.« Er verscheucht eine Fliege von seiner Stirn. »Ich wünschte, sie wären gleich gekommen, dann hätten wir zeitnah agieren können.«
»Haben Sie eine Beschreibung des Mädchens?«
»Ein Foto gibt es natürlich – leider – nicht.« Er holt einen Notizblock aus der Gesäßtasche und schlägt ihn auf. »Fünfzehn Jahre alt, braune Haare, braune Augen. Etwa zweiundfünfzig Kilogramm schwer, eins sechzig groß.«
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